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Das Lied des roten Todes

Das Lied des roten Todes

Titel: Das Lied des roten Todes
Autoren: Bethany Griffin
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siegreich zurückkehren.«
    Natürlich will er das. Wir alle haben unsere Fantasien. Ich könnte ihm sagen, dass ich will, dass die Dinge wieder so sind wie vorher, dass ich will, dass mein Vater ein Held ist, dass ich will, dass meine Mutter in Sicherheit ist, dass ich will, dass meine wichtigste Entscheidung die ist, was ich im Debauchery Club anziehen soll. Aber das Leben ist nicht so leicht. Und ich kann erkennen, dass er nicht zuhören wird, nicht jetzt. Dennoch ist diese Diskussion alles andere als beendet.
    Ich schnappe mir die Reste meiner zerfetzten Röcke und rausche aus dem Zimmer in die Hauptkabine. In ihrer Mitte steht ein schwerer Holztisch. Karten und Navigations-Instrumente sind darauf verstreut. April steht am anderen Ende des Raumes, und Kent sitzt am Tisch.
    »Da bist du ja. Ich dachte schon, du wärst da drin vielleicht gestorben«, sagt April leichthin, und dann werden ihre Augen groß, als würden die Worte ihr selbst einen Schreck einjagen.
    Es passt nicht zu ihr, Witze über den Tod zu machen. April hat immer versucht, den Tod zu ignorieren, ihren Fahrer dazu zu bringen, ihm aus dem Weg zu gehen und den Leichen auf der Straße auszuweichen. Aber jetzt ist es ihr unmöglich, die Seuche zu ignorieren. Vielleicht ist es das auch für mich. Mir wird plötzlich klar, dass ich eine offene Wunde habe – und das mitten im Sumpf, während zwei aggressive Seuchen wüten. Manchmal habe ich das Gefühl, als wartet die Welt nur darauf, dass wir alle krank werden. Dass wir alle verblassen und sterben.
    Trotz der Feuchtigkeit trägt April lange Ärmel. Die Seuche klettert ihr hinten am Hals wie ein Finger nach oben. Sie sieht, dass ich es ansehe, und schüttelt die Haare, um das verräterische Mal zu bedecken.
    »April …«, setze ich an. Wir sollten von vorn anfangen.
    »Ich würde dich umarmen«, sagt sie. »Aber du weißt …«
    Ich nicke. Es gibt viele Gründe, warum wir uns nicht umarmen – ihre Krankheit, meine Verletzung –, sogar wenn wir die Art Freundinnen wären, die sich normalerweise umarmen. Was wir nicht sind.
    Am Tisch untersucht Kent einige mechanische Gegenstände, von denen ich glaube, dass sie mit der Reparatur des Schiffes zu tun haben. Irgendwie hat er es geschafft, sofort auf jedermanns Seite zu sein. Das erste Mal habe ich ihn bei meinem Vater gesehen, aber er ist auch mit Elliott und mit Will befreundet. Und hier in der Kabine des Luftschiffs, das er konstruiert hat, sitzt April sehr nah bei ihm. So nah, dass Elliotts Augenbrauen nach oben wandern. Er mag Aprils älterer Bruder sein, aber er sollte wissen, dass es zu spät ist, um sich um ihre Keuschheit Gedanken zu machen. Elliott war derjenige, der uns Geld gegeben hat, damit wir Mitglieder des Debauchery Clubs werden konnten, auch wenn Kent ganz und gar nicht die Art Junge ist, auf die sie es dort immer abgesehen hatte. Damals waren es frivole Jungen in Samtjacken und mit Lidschatten gewesen. Kent ist überaus ernst, seine braunen Haare sind unordentlich, und er trägt eine dicke Brille.
    Ich greife nach dem glänzenden Metallgegenstand, der vor ihm auf dem Tisch liegt.
    »Sobald ich es geschafft habe, diese Teile zu reparieren, können wir das Schiff wieder steuern«, erklärt er.
    »Und dann können wir diesen Ort verlassen«, sagt April leise. »Kannst du dir die Leute vorstellen, die hier gelebt haben? Wie sie jeden Tag gehofft haben müssen, dass sich der Sumpf wieder zurückzieht? Sie haben ihre Möbel hiergelassen, ihre Kleidung …«
    »Wohin sind sie gegangen?«, frage ich. »In die Stadt?« Die Vorstellung ist schrecklich; wir alle wissen, wie schnell sich die Seuche in den dichter bevölkerten Gebieten ausgebreitet hat.
    April zuckt mit den Schultern. »Sie müssen schon eine ganze Zeit lang weg sein. Alles ist staubig oder angeschimmelt oder zerfällt. Sie sind wahrscheinlich alle tot.«
    »Wir sollten schon bald aufbrechen können.« Kent steht auf und geht zur Tür. »Vielleicht am Abend. Ich ziehe es vor, nachts zu fahren. Auf diese Weise erregen wir weniger Aufmerksamkeit.«
    Weniger Aufmerksamkeit von den Leuten im Sumpf? Oder von Prosperos Wachen? Ich sehe Elliott an. Er steht mit vor der Brust verschränkten Armen da.
    »Ein neuer Sturm braut sich zusammen«, fährt Kent fort. »Ich werde beim Schiff bleiben, aber ihr anderen müsst Schutz suchen. Auch du«, sagt er zu April, und sie wechseln ein Lächeln.
    Elliotts Brauen heben sich jetzt sogar noch mehr.
    »Wo sind die Kinder?«, frage ich. Sie sind
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