Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition)
Autoren: Inez Corbi
Vom Netzwerk:
erfordern besondere Maßnahmen. Verehrte Anwesende«, der Gouverneur machte eine bedeutungsvolle Pause. »Verehrte Anwesende, ich möchte den heutigen Tag zum Anlass nehmen, eine Neuerung einzuführen: das ticket of leave , die Freilassung auf Bewährung. Damit erhalten Sträflinge, die sich in vorbildlicher Weise ausgezeichnet haben, die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen ihr eigener Herr zu sein.«  
    Moira hielt die Luft an. Wollte der Gouverneur Duncan etwa ein solches ticket of leave gewähren? Ihr Herz pochte laut gegen ihre Rippen.  
    »Leider«, fuhr der Gouverneur fort, »kommt Mr O’Sullivan nicht für ein ticket of leave in Frage.«  
    Moiras Zuversicht sank wieder in sich zusammen. Gleich darauf flammte Zorn in ihr auf. Wieso nicht? Hatte Duncan nicht Mrs King und die kleine Elizabeth gerettet, wie der Gouverneur gerade erst selbst gesagt hatte? Wieso machte Gouverneur King ihm erst Hoffnung, wedelte ihm damit gewissermaßen wie einem Hund mit der Wurst vor der Nase, um sie dann wieder wegzuziehen? Sie schnaufte vor Empörung und blickte zu Wentworth, der besänftigend seine Hand auf die ihre legte.  
    »Und zwar deswegen«, sagte der Gouverneur mit einem feinen Lächeln, »weil ein Sträfling mit einem ticket of leave kein eigenes Land besitzen darf. Daher, Mr O’Sullivan, habe ich mich entschieden, Euch bereits jetzt das conditional pardon , den bedingten Straferlass, zu gewähren.«  
    Moira blieb vor Überraschung und Freude der Mund offen stehen. Ein conditional pardon war gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Freilassung, mit der einzigen Einschränkung, dass eine Rückkehr nach Irland oder England nicht möglich war. Aber das würde ja bedeuten …  
    »Außerdem –«, wollte Gouverneur King fortfahren, aber Moiras Freudenschrei ließ ihn verstummen. Sofort ruckten alle Köpfe zu ihr hinüber. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um weitere Äußerungen zurückzuhalten, aber in ihr gluckste es. Irgendwo hinter sich glaubte sie die unerträgliche Mrs Zuckerman etwas zischen zu hören. Sie konnte Wentworths Mundwinkel zucken sehen, als könne er nur mit Mühe einen ernsthaften Ausdruck beibehalten.  
    Auch der Gouverneur lächelte. »Außerdem«, fuhr er fort, als hätte es die Unterbrechung nicht gegeben, »steht Euch nach Eurer Entlassung wie allen freigelassenen Sträflingen Land in der Größe von dreißig Morgen zu.«  
    Hätte Wentworth sie nicht zurückgehalten, Moira wäre jubelnd aufgesprungen und zu Duncan gelaufen, ohne sich einen Deut um ihren Ruf zu scheren. So aber blieb sie auf ihrem Platz, die Hände auf den Mund gepresst, und konnte doch nicht verhindern, dass sich kleine Laute des Glücks aus ihrer Kehle stahlen. Hinter ihr erhoben sich murmelnde Stimmen, gemischt mit Ausrufen des Beifalls und der Empörung. Moira blickte sich kurz um und sah gerade noch, wie McIntyre nahezu fluchtartig den Raum verließ.  
    »Einfach unerhört«, vernahm sie dann die keifende Stimme von Mrs Zuckerman rechts hinter sich. »Und ich war mit dieser schamlosen Person bekannt!«  
    *  
    Duncan trat aus dem stickig-heißen Lazarettgebäude, wo er seinen Vater besucht hatte, und wandte sich in Richtung der schnurgeraden Hauptstraße von Parramatta. Die Geschichte des »wilden weißen Mannes«, wie man Joseph hier nannte, hatte in Windeseile die Runde in der Kolonie gemacht. Was allerdings bedeutete, dass auch Joseph nach seiner Genesung mit einer Anklage wegen Flucht aus dem Gefangenenlager rechnen musste. Aber Dr. Wentworth war zuversichtlich, dass diese Sache ebenfalls glimpflich ausgehen würde, da sie sicher längst verjährt war.  
    Die großflächige Überschwemmung hatte überall Schaden angerichtet. An allen Ecken und Enden der Stadt erscholl Hämmern und Sägen, sah Duncan Sträflingstrupps, die in der glühenden Sommerhitze Löcher reparierten, Häuser deckten oder neu bauten und angeschwemmten Unrat wegräumten.  
    Am linken Straßenrand war ein vierrädriger Karren mit einem gebrochenen Rad liegengeblieben, einige Rotröcke liefen herum. Beißender Latrinengeruch aus den offenen Fässern machte schnell klar, dass es sich hierbei um den Wagen handelte, der die Fäkalien aus der Kaserne abfuhr. Offenbar machte es der Einsatz der Sträflinge für das öffentliche Wohl nötig, dass man für diese Arbeit rangniedere Soldaten heranziehen musste. Ein berittener Offizier begleitete sie. Zwei Soldaten hatten einen langen Balken als Hebel angesetzt und versuchten, den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher