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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition)
Autoren: Inez Corbi
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gerichtet. »Ich verhafte dich wegen Fluchtversuchs und der Ermordung eines Soldaten Seiner Königlichen Majestät.«  
    Ein Knoten aus Angst und Entsetzen ballte sich in Moiras Magen zusammen. »Nein!«, protestierte sie. »Nein! Das … das dürft Ihr nicht!«  
    Es war, als hätte man sie überhaupt nicht gehört. Duncan sagte kein Wort, als man ihm unsanft die Arme auf den Rücken drehte und ein Paar eiserne Handschellen anlegte. Er sah Moira an, und der Ausdruck in seinen Augen ließ sie fast aufschreien. So kurz vor dem Ziel und doch alles verloren.  
    Mit brennenden Augen warf sie einen Blick hinaus auf die Bucht. Fitzgerald und das Boot waren nur noch ein kleiner Punkt auf dem Wasser, der sich langsam entfernte.  

24.  
     
    Die Schlinge hob sich drohend vor dem morgendlichen Himmel ab; ein Himmel, so blau, dass er fast schon unnatürlich wirkte. Eine schweigende Menge bevölkerte den Platz vor dem Galgen. Erst als zwei Wärter Duncan heranführten, erhoben sich einzelne Stimmen aus der Menge, wütend, voller Hass. Man hatte ihm die Hände auf den Rücken gefesselt, seine Kleidung war zerrissen. Der Henker, ein vierschrötiger Mann mit der bulligen Gestalt eines Ochsentreibers, half ihm auf das hölzerne Gestell. Duncan hob den Blick zum Galgen. Sein Gesicht war unbewegt, nur in seinen Augen las Moira Furcht. Sieh nicht dorthin, wollte sie ihm zurufen, sieh mich an! Doch kein Wort kam aus ihrem Mund. Dann legte der Henker ihm die Schlinge um den Hals, ein dicker Strick, wie eine Schlange …  
    Moira fuhr auf, ihr Herz raste, ihr ganzer Körper war in Schweiß gebadet. Es war ein Traum, nichts weiter als ein Traum, sagte sie sich und versuchte, ihren jagenden Atem zu beruhigen. Dennoch dauerte es, bis sie ihre zitternden Hände so weit im Griff hatte, dass sie das Zunderkästchen öffnen und die kleine Kerze auf ihrem Nachttisch anzünden konnte.  
    Die Flamme tauchte das Zimmer in einen schwachen Schein und warf zuckende Schatten an die Wand. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett. Sie lauschte. Im Haus war es still wie in einem Grab, auch von den Straßen war nichts zu hören. Es war noch dunkel, selbst das Hausmädchen, das stets als Erste aufstand, schlief noch.  
    Seit sechs Tagen lebte Moira hier. Sie war nicht wieder zurückgekehrt zu McIntyre, obwohl das ihre Pflicht als Ehefrau gewesen wäre. Aber auch McIntyre hatte es abgelehnt, noch länger mit ihr unter einem Dach zu wohnen. Stattdessen war sie bei den Brennans, Bekannten von Dr. Wentworth, untergekommen, die sie in einem kleinen Zimmer in ihrem Haus in Parramatta einquartiert hatten. Bei Wentworth selbst unterzuschlüpfen wäre unschicklich gewesen. Auch wenn Moira das zurzeit herzlich egal war, so hatte er doch um ihretwillen darauf bestanden.  
    Sie warf die Bettdecke zurück und trat ans Fenster. Vor ihr erstreckte sich die Hauptstraße von Parramatta, die weiß getünchten Häuser schimmerten hell in der Dunkelheit. Weiter hinten konnte sie das neuerrichtete Gefängnis sehen. Dort, wo Duncan jetzt war. Die Bilder ihres Alptraums stiegen wieder in ihr auf, die Menschenmenge, der Galgen … Keuchend krallte Moira die Finger in die Fensterbank. Bitte, dachte sie flehend, lass den heutigen Tag nicht Duncans letzter sein!  
    Die meisten der aus Toongabbie geflüchteten Sträflinge waren wieder eingefangen worden. Vielen hatte man in einem Sammelverfahren bereits den Prozess gemacht und sie zu den üblichen Schlägen verurteilt, die nun, wie Moira gehört hatte, nach und nach im Straflager von Toongabbie verabreicht wurden. Fitzgerald hingegen blieb verschwunden. Moira war sich nicht sicher, ob er wirklich nur aus eigennützigen Gründen das Boot genommen hatte. Immerhin hatte seine Flucht für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Rotröcke von Duncan abgelenkt. Ob es dem Hünen gelungen war zu entkommen? Wahrscheinlicher war, dass er längst ertrunken auf dem Grund des Gewässers ruhte. Aber ein Teil von ihr wünschte sich, dass er es geschafft hatte.  
    *  
    »Erhebt Euch!« Richter Chamberlain klopfte auf das Pult. Wenigstens blieb ihnen diesmal Mr Zuckerman erspart.  
    Ein Scharren von vielen Füßen, als sich die Zeugen und Schaulustigen erhoben. Moiras Hände waren eiskalt, ein dicker Klumpen saß in ihrer Kehle und ließ sie schwer schlucken. Ein paar warme Finger legten sich über ihre – Dr. Wentworth, der sie zur Verhandlung begleitet hatte, nickte ihr aufmunternd zu.  
    Wieder vor Gericht. Wieder Duncan auf der Anklagebank.
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