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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka
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verdammten Schwerts! Dann hast du damit, soweit ich das kapiert habe, fast die ganze Welt in den Abgrund gestürzt; und jetzt hat dieser wahnsinnige Zauberer April entführt, und ich muss sie finden, ehe er ihr was antut.«
    »Hier sind sie nicht langgekommen«, sagte sie, und er dachte zuerst, sie mache sich über ihn lustig. »Ich hoffe aber, dass du sie findest.«
    »Besten Dank.«
    »Vielleicht war ich ja neidisch auf dich?«
    »Wie bitte?«
    Sie machte einen schwachen Versuch, sich aufzurichten, und zuckte zusammen. Dann ließ sie sich wieder fallen. »Du hattest das Leben, das ich nie führen konnte. Du hast alles gehabt, und hast es nicht mal gemerkt. April, und Schneeklinge … Siehst du es nicht? Du konntest immer tun und lassen, was du wolltest. Du musstest nie die Verantwortung tragen.«
    »Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest.«
    »Du hattest sogar den Vater, den …«
    »Fang bitte nicht wieder damit an!« Er stand auf und wischte sich die Augen. »Du und deine Geschichten! Wer wurde denn mit dem silbernen Löffel geboren? Nun schau, was aus dir geworden ist! Du hast dein ganzes Leben weggeworfen. Und weißt du was? Es ist nicht meine Schuld.« Er klopfte sich den Sand von der Hose. »Ich muss gehen«, murmelte er. »Die anderen werden bald hier sein. Wenn du Glück hast, sind sie schneller bei dir als die Flut.«
    »Ianus!«, rief sie, und er blieb stehen.
    »Du hast recht«, sagte sie. »Es tut mir leid.« Sie stockte, als sie von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. »Wahrscheinlich ist es zu spät, von alten Fehlern zu reden. Eins wollte ich dir aber noch sagen.«
    »Was wolltest du sagen?«
    »Das, was ich dir in der Zelle erzählt habe«, sagte sie. »Über deinen Vater. Das habe ich nur erfunden.«
    »Ach ja?« Er blickte skeptisch zurück.
    »Ich war wirklich daheim und habe deine Tante Mirabelle getroffen. Aber sie hat nur von Tausenddorn erzählt, und wie sie sich für deine Mutter gefreut hat. Er war es, Ianus: Das war, was ich dir sagen wollte. Mein Vater war vielleicht Senator, doch deinerwar ein großer Krieger, und ein Held. Du kannst stolz auf ihn sein.«
    Er schwieg und scharrte mit dem Stiefel im Staub. »Warum hast du mir dann im Kerker was anderes erzählt? Du weißt schon. Dass alles ganz anders war?«
    Sie hustete, und er wartete, bis sie wieder Luft bekam.
    »Ich wollte dir weh tun«, sagte sie leise. »Es tut mir sehr leid. Ich war einfach so wütend auf dich.«
    Er wischte sich wieder die Augen, dann nickte er. »Danke, dass du’s mir gesagt hast.«

    Das Scharren von Stiefeln auf Stein, das Rieseln von Kies, als er die Klippen erklimmt, dann das Wiehern seines Pferds. Sie trägt es ihm nicht nach, dass er geht; er hätte sie allein und in ihrem Zustand ohnehin nicht die Klippen hochziehen können. Mittlerweile spürt sie auch ihre Beine nicht mehr und hat fast keine Schmerzen. Bald würden die anderen kommen. Dann könnten sie sie befreien und gemeinsam ein Schiff besteigen. Egal wohin.
    Die Flut spült eine Handvoll Karten heran. Sie kann sie nicht genau erkennen: Kelche, Schwerter und Arkana, es ist alles eins, denn es ist alles gesagt und alles geweissagt, und es ist ein befreiendes Gefühl, dass es so ist. Einen Moment stellt sie sich vor, wie Lesardres Kristallkugel hinab auf den Meeresgrund rollt und dort verborgen zwischen Seesternen und Tang weiter die Bilder einer längst vergangenen Zeit widerspiegelt: eine Frau in einer Schlangengrube, ein weißer Hirsch in den Wäldern.
    Die Sonne fällt ihr aufs Gesicht und wärmt sie, und sie schmeckt Salz auf den Lippen und Blut und hört die Schreie der Möwen, die Wellen, die in die Bucht rollen, den Wind, der über die Klippen fährt. Dann schließt sie die Augen, lauscht auf das Branden des Meers und den langsamen Schlag ihres Herzens.
    Immer das Meer, denkt sie, immer das Meer: die stürmische See an den Pforten des Helias und die graue Küste Dûnhlairs, dersanfte Seegang im Hafen von Ptaraon, wo sie am Leuchtturm steht und wartet; das ewige, stolze Tosen an den Grundfesten Leiengards, das sich der Vergangenheit entsinnt, und wartet, und von der Zukunft träumt.
    Diesmal hat sie keine Angst vor der See. Sie heißt sie willkommen und lässt sich davontragen in ein anderes Leben. Dann ist sie wieder dort, auf Leiengard, und hört das Schnarchen M’kars und den Schlag eines Gongs in der Ferne, der sie ruft.
    Gleich, denkt sie, wird sie erwachen – und dann, von einem Moment auf den nächsten, ist es vorbei.

SARIKS
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