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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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eingespieltes Team, in dem sich einer auf den anderen verlassen konnte. Aber das ist nun vorbei. Hier bin ich allein, hier muss ich ohne die Hilfe der Kollegen die Diagnosen stellen, die Krankheiten beurteilen und die Hilfe einsetzen, die ich für richtig halte. Ich hoffe, ich kann das.
    Lena hatte Angst vor der Verantwortung und Angst vor den Menschen, die ihr so unbekannt waren und so fremd.
    Würden sie überhaupt zu ihr kommen, ihr vertrauen und sich helfen lassen? Eine Frau als Ärztin, das war für die einfachen Leute hier draußen eine unbekannte Situation. Die zwei alten Männer, die mit ihr gesprochen hatten, vertraten bestimmt nicht die Meinung der Mehrheit, als sie sagten, sie bräuchten einen Arzt, und sie solle bleiben.
    Dann sah sie hinüber zu der friedlich grasenden Alpakaherde, bewacht von den Border Collies und umgeben von den fröhlich herumspringenden Fohlen. Nächste Woche kommt der Zehenschneider, ich werde ihn fragen, ob er einen Gehilfen kennt, der mir die Arbeit mit der Herde abnimmt und für die Tiere sorgt, wenn ich unterwegs bin. Ein Landarzt muss viele Hausbesuche machen. Da kann ich nicht immer pünktlich daheim sein. Außerdem brauche ich einen Geländewagen, dachte sie erschrocken und sah hinauf zu den noch immer schneebedeckten Gipfeln der Highlands. Mit meinem kleinen Cooper kann ich nicht in die Berge fahren. Aber wovon soll ich so einen Geländewagen bezahlen? Mein Konto ist leer, der Umzug hat alles aufgebraucht. Also muss ich, wie Mutter das in jedem Frühjahr gemacht hat, die kleinen Hengstfohlen verkaufen. Und davon verstehe ich überhaupt nichts. Der Zehenschneider muss mir die Fohlen aussuchen, und dann werde ich ihnen Halsbänder umlegen, damit ich wenigstens weiß, welche Tiere verkauft werden können. Hoffentlich hilft mir der Zuchtverein dann dabei. Mein Gott, ist das alles kompliziert. Ich brauche als Ärztin ein Auto, aber ich kann es erst kaufen, wenn ich als Viehzüchterin Geld eingenommen habe. Und die Wolle muss auch geschoren und verkauft werden, hoffentlich kann mir der Zuchtverein einen Scherer schicken.
    Lena ging nach drinnen. Da auf dem Weg herauf zum Haus niemand zu sehen war, setzte sie sich ans Telefon und besprach mit dem Zuchtverband die nächsten nötigen Schritte. Man versprach ihr, einen zuverlässigen Scherer zu schicken und würde sich dann auch um den Verkauf der Wolle kümmern. „Die Alpakazucht Ihrer Mutter hat einen guten Ruf, Sie werden davon profitieren“, versicherte ihr der Mann am anderen Ende der Leitung, und Lena legte leicht beruhigt den Hörer zurück in die Station.
    Sie sah sich in der Praxis um. Alles blitzte vor Sauberkeit. Lenas Mutter hatte als Sprechstundenhilfe und Putzfrau für Ordnung gesorgt. Auch hier werde ich Hilfe brauchen, dachte Lena erschrocken und zählte im Stillen zusammen, welche Ausgaben auf sie zukommen würden. Unmöglich, dachte sie schließlich, das schaffe ich nie.

Kapitel 4
    Patrick McDoneral durchstreifte die Hänge am Barcaldine Forest und beobachtete die neu angesiedelte Mufflonherde, die er aus dem Hochland von Glen Lochsie herübergeholt hatte, um den Bestand in seinem Revier zu vergrößern. Patrick war ein begeisterter Ranger und zum Leidwesen seiner alten, adligen Eltern nicht bereit, den Titel Earl of McDoneral zu tragen und zu präsentieren. „Lasst mich mit der High Society in Ruhe, ich interessiere mich nicht für die Bälle und Empfänge und die verdammten Fuchsjagden und die Audienzen im Schloss Archestown. Ich gehöre in den Wald und in die Berge, und damit müsst ihr euch abfinden“, erklärte er seinen Eltern, wenn sie ihn wieder einmal an Traditionen und Verpflichtungen erinnerten.
    Er war ein hochgewachsener, gutaussehender und mit seinen vierzig Jahren auch ein begehrter Mann, dem der weibliche Hochadel gern näher gekommen wäre. Aber Patrick unterhielt sich lieber mit seinen Mufflons als mit heiratsfähigen Damen und zog die Stille in den Eulenwäldern dem Amüsement in den Schlössern vor.
    Schon seit dem frühen Morgen hatte er die Wildschafe beobachtet und hoffte bei ihrem Anblick, dass sie sich heute Abend in den schützenden Wald zurückzögen, sonst würde es zu kalt für die Lämmer. Er zählte die Tiere und freute sich über die kräftigen Böcke mit den kreisrunden Hörnern, die den Winter gut überstanden hatten und auch in Zukunft für Nachwuchs sorgen würden.
    Als er vor fünf Jahren die ersten Paare wieder in der Gegend angesiedelt hatte, waren viele seiner Kollegen
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