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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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– müssten Sie dringend und persönlich sprechen, bitte … es ist wichtig.“
    „Was ist passiert? Von wem haben Sie meine Nummer?“
    „Also, Miss Mackingtosh, ich – wir haben Ihre Nummer in den Papieren gefunden.“
    „In welchen Papieren?“
    „Ja, also, ich habe eine traurige Mitteilung für Sie, Miss Mackingtosh. Ich würde Sie ihnen gern persönlich sagen und nicht am Telefon.“
    „Bitte, was ist passiert?
    „Miss Mackingtosh, es hat einen Autounfall gegeben. In der Nähe von Glasdrum, und aus den Papieren haben wir ersehen, dass es sich um einen Dr. Mackingtosh und seine Ehefrau handelt, die dort verunglückt sind.“
    „Ja … aber … was ist mit meinen Eltern, sind sie verletzt, wo sind sie jetzt?“
    „Ihre Eltern sind in der Klink von Barcaldine, aber es sieht gar nicht gut aus. Bitte kommen Sie doch so schnell wie möglich nach Barcaldine.“
    „Ich bin schon unterwegs.“
    Lena zog sich hektisch um, raffte ihre Papiere, etwas Wäsche, ihre Schlüssel vom Elternhaus und alles Geld, das sie gerade daheim hatte, zusammen und stürmte die Treppen hinunter in die Tiefgarage. Zum Glück sprang der alte Mini Cooper sofort an. Ein Blick auf die Benzinuhr, und schon war sie mit kreischenden Reifen aus der Ausfahrt hinaus und auf der Ausfallstrasse zum River Clyde, die sie direkt nach Norden über Arden und Tarbet, dann nach Tyndrum und von dort nach Westen über Connel nach Barcaldine bringen würde.
    Sie kannte die Strecke auswendig. Wie oft war sie während ihres Studiums auf dieser Straße unterwegs gewesen. Tagsüber oder in der Nacht, bei Eis und Schnee, im Regen und im Sonnenschein, war sie durch die Berge von Loch Lomond und am Ufer vom Loch Awe und später über die Brücke bei Connel gefahren. Mal mit Herzklopfen, weil eine Prüfung bevorstand, mal mit Freude, weil eine Prüfung bestanden war. Mein Gott, überlegte sie, wie oft hatte ich Angst, wie oft war ich glücklich. Mal habe ich vor Tränen den Straßenrand nicht gesehen, weil mich ein Freund versetzt hatte, wie oft habe ich vor Freude gesungen, weil ich einen neuen Typen kennengelernt habe. Und jetzt? Mein Gott, was erwartet mich jetzt in Barcaldine? Und was hatten Mutter und Vater überhaupt in Glasdrum zu tun? Und das mitten in der Nacht? Waren sie auf dem Viehmarkt von Creagan? Wollte Mutter Alpakas verkaufen oder neue abholen? Oder suchten sie nach einem neuen Scherer? Der alte von früher hat sie schon ein paar Mal versetzt, und dann gab es Schwierigkeiten mit dem Wollhändler. Ach Mama, dachte Lena, du und deine Alpakas. Und Papa lässt dich nie im Stich, er kann als Landarzt noch so viel zu tun haben, er lässt dich nie allein fahren.
    Lena erinnerte sich, wie das mit den Alpakas angefangen hatte. Sie war gerade sechs Jahre alt und noch nicht in der Schule, als ihr Vater, der seit Jahren keinen Urlaub gehabt hatte, und ihre Mutter die lang ersehnte Urlaubsreise nach Chile antraten. Sie wollten mit Lena durch die Anden wandern, auf Eseln reiten und in Zelten schlafen. Es gab da Treckingtouren, die sie sich leisten konnten. Das Teuerste war die Hin- und die Rückreise. Aber ihr Vater kannte einen Kapitän, der mit seinem Schiff Guano, diese Mixtur aus Exkrementen, Vogelkadavern und Federn, von den Chincha-Inseln vor Peru holte und nach Europa brachte, wo dieses überaus geschätzte Düngemittel hoch im Kurs stand. Dieser Kapitän nahm die Familie mit. Lena erinnerte sich an den Gestank des Vogelmistes, der die Rückreise fast unerträglich gemacht hatte und den sie bis heute in der Nase hatte, wenn sie nur daran dachte.
    Auf dieser Treckingtour durch die Berge haben uns Lamas begleitet um das Gepäck zu tragen, und ich durfte darauf reiten, weil ich noch so klein und leicht war, dachte sie. Ja, und dann hat Mama die Alpakas gesehen und sich in die weißen und braunen, schwarzen und gefleckten Tiere verliebt. Als wir die Rückreise mit dem stinkenden Frachter antraten, hatten wir zehn von diesen sanftmütigen Wollknäueln dabei, und Papa hat zwei Jahre lang den Kapitän und seine Familie umsonst behandelt, um die Rückreise abzuzahlen.
    Lena lächelte in Erinnerung an den Anfang der Alpakazucht. Ihr Vater hatte im Laufe der Zeit das ganze Land in Weiden umgewandelt, und ihre Mutter hatte inzwischen eine richtig gute, anerkannte Alpakazucht auf Paso Fernando aufgebaut. Lena lächelte, sogar die kleine Farm hatte er nach dem Pass benant, auf dem Mutter sich in die ersten Alpakas verliebt hat. Aber was um Himmels willen war jetzt
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