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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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ihnen die Näpfe und jagte sie dann wieder hinunter zur Weide, wo sie bis zum Abend die Herde bewachen würden.
    Ich muss bei Tageslicht zurück sein, dachte Lena und schüttelte den Kopf. Wie soll das bloß in Zukunft werden? Vielleicht bekomme ich ein paar Tage oder ein paar Wochen Urlaub. Als Erstes muss ich versuchen, einen Nachfolger für Vaters Praxis zu finden. Und dann, die Herde zu verkaufen und das Land zu verpachten. Aber wer übernimmt schon diese abgelegenen Weiden? Und wer kauft eine so große Herde? Und wer will schon als Landarzt eine Praxis in der Abgeschiedenheit der Highlands übernehmen? Vater hat schon öfter davon gesprochen, sich zur Ruhe zu setzen, aber er konnte keinen Nachfolger finden. Und aus Verantwortungsgefühl seinen Patienten gegenüber hat er schließlich doch weitergemacht. Deshalb war er ja auch so enttäuscht, dass ich keine Landärztin werden wollte, sondern die Großstadt und ihre vielen Vorzüge mehr schätzte als das Leben hier in den Highlands. Ihm selbst war es ja auch nicht leicht gefallen, seine Praxis hierher zu verlegen, als Mutter das Cottage mit dem umliegenden Land erbte und er ihretwegen seine Praxis in Barcaldine aufgab. Da der Boden sich nicht als Ackerland eignete, war Mutters Idee von der Alpakazucht direkt ein Segen. Die Wolle ist nach wie vor sehr begehrt und auch die Hengstfohlen lassen sich sehr gut verkaufen.
    Sie sah zurück zur Weide, wo mehr als dreißig Fohlen übermütig herumsprangen. Meine Güte, ich weiß ja nicht einmal, welches Fohlen ein Männchen und welches ein Weibchen ist, dachte Lena.
    Sie schaute auf die Uhr. Schon nach neun, sie musste sich umziehen und nach Barcaldine fahren. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nicht einmal Trauerkleidung besaß.
    Sie zog Jeans und T-Shirt aus, die Reisekleidung vom Vortag an, bürstete den sandigen Schmutz von den Schuhen und verschloss das Haus. Dann hängte sie ein Schild mit der Aufschrift: „Die Praxis ist vorübergehend geschlossen“ an die Eingangstür zu den Praxisräumen und fuhr ab.
    Die Besprechungen beim Beerdigungsunternehmer und beim Pfarrer waren etwas schwierig, weil Lena auf einem Doppelsarg, der erst hergestellt werden musste, und auf einem Doppelgrab, das nicht in die gewohnten Reihen passte, bestand. Wegen dieser Extrawünsche konnte die Beerdigung erst in drei Tagen stattfinden.
    Nach einem starken Kaffee und einem Sandwich in einem Coffeeshop kaufte Lena sich einen schwarzen Rock, eine schwarze Bluse und ein schwarzes Schultertuch, das man während der Trauerfeier um den Kopf trug.
    Zum Schluss fuhr sie zur Polizeistation, um sich bei Sergeant Marloff noch einmal für seine Hilfe zu bedanken.
    „Wie geht es Ihnen? Sind Sie mit allem zurechtgekommen?“, fragte er höflich und schaute Lena besorgt an.
    „Es geht, aber nur von einem Tag bis zum nächsten, nicht weiter.“
    „Wie meinen Sie das?“
    „Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Ich habe einen Beruf in Glasgow, der mir sehr wichtig ist, auch weil ich Geld verdienen muss. Und nun habe ich eine Arztpraxis, über hundert Alpakas und zwei Hunde im Dorf Broadfield, die ich nicht allein lassen kann.“
    „Warten Sie erst einmal die Beerdigung ab, danach werden Sie ruhiger und übersehen die Zukunft vielleicht etwas besser.“
    „An den Problemen wird sich nichts ändern.“
    „Ja, ich fürchte, die bleiben. Haben Sie denn schon mal mit Ihrem Chef gesprochen?“
    „Nein, das habe ich noch vor mir.“
    „Wenn Sie jetzt mit ihm telefonieren wollen, können Sie das von unserem Büro aus erledigen.“
    „Danke, das wäre sehr nett. Vor dem Gespräch habe ich richtig Angst.“
    „Aber warum denn?“
    „Vielleicht werde ich auf der Stelle entlassen.“
    „Unsinn, das gibt es doch gar nicht.“
    „Doch, es gibt viele junge Ärzte, die nur auf eine freie Stelle warten, da ist man nicht auf mich angewiesen. Wir sind zwar ein eingespieltes Team auf unserer Station, aber das spielt keine Rolle, wenn es um dringende Arbeit geht.“
    „Ja, ja, die Menschlichkeit muss dann dem Business weichen, das ist leider überall so.“
    Sie hatten beide recht. Lena mit ihrer Angst um den Arbeitsplatz und Sergeant Marloff mit seinem Wissen um die fehlende Menschlichkeit.
    Lena wurden zehn Urlaubstage zugestanden, kam sie dann nicht in die Klinik zurück, würden ihr die Entlassungspapiere zugestellt, erklärte man ihr in der Verwaltung.
    Als sie sich später verabschiedeten, versicherte ihr der Polizist: „Bei der Beerdigung werde
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