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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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passiert? Was hatten die Eltern gemacht, dass sie plötzlich in einer Klink lagen und dass die Polizei bat, Lena möge sofort kommen? Sie waren doch beide so gute Autofahrer, sie hatten doch noch nie einen Unfall.
    Am späten Nachmittag erreichte Lena Barcaldine. Sie missachtete unterwegs alle Geschwindigkeitsbegrenzungen und holte alles aus dem alten Kleinwagen heraus.
    Aber sie kam zu spät. Ihre Eltern waren bereits am Unfallort bei Glasdrum verstorben, wo ein schwerer Holztransporter ihren Wagen von der Straße abgedrängt und in eine Schlucht geschoben hatte.
    „Miss Mackingtosh, es tut mir so leid“, empfing sie Sergeant Marloff, der im Eingangsbereich der Klinik auf sie gewartet hatte.
    Lena nickte nur. Sie hatte keine Worte, sie hatte auch keine Tränen, sie war nur am Ende ihrer Kräfte. Müde ließ sie sich auf eine Bank fallen und starrte auf ihre Knie, die so stark zitterten, dass sie sie mit beiden Händen festhalten musste. Der Sergeant holte einen Becher Kaffee für sie aus einem Automaten und setzte sich neben sie. „Bitte, trinken Sie den, er ist stark und heiß, und vielleicht hilft er Ihnen ein bisschen.“
    „Danke.“ Es dauerte lange, bis Lena sich so weit beruhigt hatte, dass sie fragen konnte: „Kann ich meine Eltern sehen? Wo sind sie?“
    „Sie liegen hier in einem ‚Raum der Stille’, wo die Angehörigen Abschied nehmen können. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie.“
    „Ja, bitte.“ Lena stand langsam auf, der Sergeant stützte sie und führte sie einen langen Korridor entlang. „Sie dürfen nicht erschrecken“, erklärte er vorsichtig, „die Ärzte haben versucht, die Wunden zu schließen und die Verletzungen abzudecken, aber es war ein sehr schwerer Unfall, und wenn Sie Ihre Eltern so im Gedächtnis behalten wollen, wie Sie sie gekannt haben, sollten Sie auf den Anblick verzichten.“
    „Ich bin selbst Ärztin, und ich kann mit solchen Anblicken umgehen“, schluchzte sie, „ich muss mich doch verabschieden.“
    Der Sergeant reichte ihr ein Taschentuch und blieb vor der Tür zum Raum der Stille stehen. „Soll ich mit hereinkommen, Miss Mackingtosh?“, fragte er vorsichtig.
    Lena schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich glaube, ich möchte jetzt mit meinen Eltern allein sein.“
    „Gut, ich warte hier draußen auf Sie. Aber bitte, bleiben Sie nicht zu lange.“
    „Warum? Sie brauchen nicht auf mich zu warten.“
    „Bitte, Miss Mackingtosh, Sie haben heute noch weitere Aufgaben vor sich.“
    „Es gibt nichts, was jetzt wichtiger für mich wäre.“
    „Einhundertzwanzig hungrige, unversorgte Tiere warten auf der Farm Paso Fernando auf Sie. Ein Ranger hat uns angerufen und um Hilfe gebeten.“
    „Ach Gott, die Alpakas …“
    Dann betrat Lena den Raum der Stille im Krankenhaus von Barcaldine.
    Die beiden Toten lagen auf getrennt stehenden Bahren. Lena schob sie zusammen, dann hob sie vorsichtig die Tücher, die die Körper bedeckten. Aber beide waren mit weißen Mullbinden bandagiert, und Lena konnte nur ahnen, wer ihre Mutter und wer ihr Vater war. Weinend deckte sie die Toten wieder zu und suchte nach den Händen. Als sie sie gefunden hatte und ganz fest hielt, sagte sie leise: „ Auf Wiedersehen, Mama, auf Wiedersehen, Papa.“ Dann legte sie die Hand der Mutter in die des Vaters und verließ den Raum der Stille.
    Draußen bat sie den Sergeant: „Bitte sagen Sie dem Beerdigungsunternehmer, dass meine Eltern Hand in Hand und in einem gemeinsamen Sarg beerdigt werden sollen. Ich komme morgen und bespreche alles mit ihm. Jetzt muss ich nach Hause und Mutters Alpakas versorgen. Und dann muss ich mich um Vaters Praxis kümmern. Da wird es bestimmt Menschen geben, die auf seinen Besuch warten.“

Kapitel 2
    Die Fahrt auf der engen, kurvenreichen Landstraße war in der Dunkelheit nicht ungefährlich. Auch wenn Lena jede Biegung kannte, die Tränen verschleierten ihren Blick, und die zitternden Hände zerrten am Lenkrad. Zum Glück hatte Sergeant Marloff sich bereit erklärt, Lena zu begleiten. Er wusste, in welcher Verfassung die junge Frau war, und erklärte seinem Kollegen: „Ich kann sie jetzt nicht allein lassen, wir wollen doch nicht, dass die gesamte Familie beerdigt werden muss.“
    „Nein, nein, nur das nicht. Fahr mit und kümmere dich um die Frau. Ist ja schrecklich, was sie jetzt durchmachen muss.“
    So nahm der Sergeant sein Motorrad und erklärte Lena: „Ich begleite Sie, Miss Mackingtosh. Ich fahre langsam vor Ihnen her, und Sie brauchen mir nur zu
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