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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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hatte, war leer, die Fenster im Erdgeschoss und die Türen durch dunkelgrüne Holzläden verschlossen. Von den vielen Bediensteten, die damals den Hof belebten, war nicht ein einziger zu sehen. Lena sah sich etwas hilflos um. „Ist es immer so leer hier?“
    „Na ja, wenn nicht gerade irgendwelche Feste gefeiert werden, ist es hier verdammt einsam.“ Patrick löste den Sicherheitsgurt und stieg aus. „Komm, ich weiß ja, wo es langgeht.“ Er half Lena aus dem Wagen und ging mit ihr Hand in Hand über den großen Schlosshof.
    Er öffnete eine kleine Tür, die etwas verborgen hinter einer Mauer voller Efeuranken lag. Sie führte ein paar Stufen hinab mitten in die Wirtschaftsräume. Aus einem Raum hörte man Stimmen. Patrick klopfte und öffnete die Tür. Um einen großen Tisch versammelt saßen die Köchin, die Haushälterin, der Butler und zwei Zimmermädchen und putzten Silber. Als sie Patrick sahen, sprangen alle gleichzeitig auf und begrüßten ihn fröhlich. Lena spürte sofort, dass er bei der Dienerschaft sehr beliebt war.
    Ganz ungezwungen setzte er sich mit an den Tisch und zog Lena auf den Stuhl neben sich. „Erzählt, was ist los hier in Archestown.“
    „Na ja“, erklärte der Butler, „der Earl liegt im Krankenhaus von Berwick. Er fühlte sich nicht wohl, und als Schmerzen hinzukamen, hat ihn die Lady sofort dorthin bringen lassen.“
    „Und wo ist meine Mutter?“
    „Sie ist oben in ihrem Salon. Ich werde Sie sofort anmelden, Mister Patrick.“
    „Ist nicht nötig, wir gehen gleich hinauf.“
    „Aber Sie wissen doch, welchen Wert die Lady auf die Etikette legt“, bemerkte die Haushälterin und unterstützte den Butler in seinem Bemühen, so korrekt wie möglich zu agieren.
    „Na schön, Leo, sagen Sie Bescheid, wir warten in der Halle.“
    Er reichte Lena die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen und versicherte den anderen gegenüber: „Wir sprechen uns noch. Ich will schließlich wissen, wie es Ihnen allen geht.“
    „Sollen wir Ihre Zimmer herrichten und ein Essen servieren?“
    „Nein, das ist nicht nötig, wir bleiben nicht lange. Ich will meinen Vater in Berwick besuchen und meiner Mutter nur guten Tag sagen, damit sie sich nicht übergangen fühlt.“
    Patrick führte Lena durch ein paar Räume im Souterrain, dann erreichten sie die Treppe nach oben. Gleich darauf standen sie in der Halle, die Lena von der Geburtstagsfeier her kannte. Aber heute war sie leer und dunkel und kalt trotz der sommerlichen Wärme vor der Tür. Lena schüttelte sich ein wenig, und Patrick sagte sofort: „So ist es immer hier, kalt, unfreundlich und düster.“
    Der Butler kam zurück ins Erdgeschoss. „Die Lady lässt bitten.“ Dann führte er sie nach oben. Lena war nicht nur beeindruckt, sondern fast erschrocken von der Größe des Hauses mit seinen vielen Treppen und Fluren und Emporen. Und für einen Augenblick fragte sie sich, ob sie in ihrer augenblicklichen Kleidung den Damensalon betreten durften. Schließlich hatten sie sich dann doch entgegen ihrer ersten Überlegungen für die Fahrt bequeme Jeans, T-Shirts und Schuhe angezogen, die kaum für einen Empfang bei einer Schlossherrin geeignet waren.
    Der Butler meldete sie an und schloss die Tür dann hinter ihnen. Lena war bestürzt über die kalte Steifheit, die hier herrschte.
    Die Lady saß an einem riesigen Schreibtisch, trug eine Brille und sah ihren Sohn über die Gläser hinweg an. „Ich wusste nicht, dass du einen Gast mitbringst, wir haben interne familiäre Gespräche zu führen.“
    Patrick ließ sich nicht beeindrucken. „Guten Tag, Mutter. Ich hoffe, es geht dir gut trotz Vaters plötzlicher Erkrankung. Wie geht es ihm?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Dr. Mackingtosh kennst du ja von unserem letzten Besuch auf Archestown. Als meine zukünftige Ehefrau zähle ich Dr. Mackingtosh zur Familie.“
    Die Lady nahm die Brille ab, musterte Lena ziemlich ungeniert und erklärte: „Wer zur Familie gehört, bestimme ich.“
    Aber Patrick ließ sich in keiner Weise beeindrucken. „Entweder du akzeptierst meine Begleitung, oder das Gespräch ist hiermit beendet.“
    Die Lady schob die Brille wieder zurück auf den Nasenrücken und sagte kühl: „Dann ziehe ich eine Beendigung des Gespräches vor.“ Damit nahm sie ihre Papiere wieder zur Hand und begann darin Anmerkungen zu notieren.
    Patrick drehte sich ohne ein weiteres Wort um, nahm Lenas Arm und sagte: „Komm, meine Liebe, wir haben noch mehr zu erledigen.“
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