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Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel
Autoren: Kathleen McCleary
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bevor er las: »›Ich war vollkommen glücklich. Vielleicht fühlen wir uns so, wenn wir sterben und Teil von etwas Ganzem werden, ob es nun die Sonne und die Luft oder Güte und Wissen sind. Jedenfalls bedeutet dies Glück: sich in etwas Vollständiges und Großes aufzulösen. Wenn es einen ergreift, geschieht das so natürlich wie der Schlaf.‹«
    Susannah spürte den Wind, der sich erhob, die Blätter in den Baumkronen über ihnen rascheln ließ und ihr Haar hochwehte. Sie hörte Metall rasseln, wandte sich um und sah, dass sich ihr Janie-Engel im Wind drehte, wobei die an den Heiligenschein montierten Glasscherben an die Radspeichen schlugen. Vor ein paar Wochen hatte Susannah auf Bettys Bitte hin und mit Zustimmung der anderen Insulaner drei ihrer Vogelscheuchen-Skulpturen hier auf dem Friedhof aufgestellt. Die erste, der Janie-Engel, stand neben einem winzigen, frisch gepflanzten Rosenbusch nahe dem Eingang zum Friedhof. Die zweite, ein weiterer Engel, stand an dem Platz, den sich Betty für ihr eigenes Grab ausgesucht hatte. Und die dritte, Susannahs aus Metallschrott gefertigte Version von Katies pferdeschwänzigem Gott, stand im Zentrum des Friedhofs und trug eine regenbogenfarbene Hose aus Kupfer. Ihre Beine tanzten jetzt im Wind.
    Die Skulpturen waren schön – wild und frei und übermütig, all das, was Susannah selbst nie gewesen war. Aber wenn sie ihre Werke nun betrachtete, dachte sie: »Die sind auch ich.« Sie war glücklich und ängstlich zugleich, dass sie Ende Juni nach Tilton zurückkehren würde: glücklich, wieder mit Matt zusammen zu sein, ängstlich, weil sie fürchtete, in die alten Muster und Ängste zurückzufallen. Katie würde im September auf die High School kommen, Quinn in die Middle School. Sie würden mit den altbekannten Risiken, den altbekannten Versuchungen konfrontiert werden, ebenso wie sie.
    Aber die Kinder waren jetzt andere Menschen und sie eine andere Person geworden. Sie betrachtete die Skulpturen und dachte: »Die hätte ich vor einem Jahr nicht erschaffen können.« Sie wiederholte still die Worte, die Jim gerade darüber vorgelesen hatte, sich in etwas Vollständiges und Großes aufzulösen. Ihren Mann und ihre Kinder an ihrer Seite, überlegte sie, wie es war, loszulassen. »Es ist, als würde man ohne Netz fallen«, dachte sie. »Aber das ist erheblich besser, als in einem gefangen zu sein.«
    Hood begann zu singen. Er hatte eine schöne, reine Altstimme und sang das Spiritual, das sich Barfuß in seinem Testament gewünscht hatte: Ain’t Got Time to Die. Susannah sah, dass Betty lächelte und ihren Kopf wiegte, während Hood den Refrain sang. Als er aufhörte zu singen, erhoben sich plötzlich sechs Schneegänse, die zuvor im Stoppelfeld auf der anderen Seite der Straße geschrien hatten, und flogen über ihre Köpfe hinweg. Ihre weiten weißen Schwingen mit den schwarzen Flügelspitzen schlugen unisono, fast, als hätten sie sich aufeinander abgestimmt.
    Susannah sah hoch und folgte den Gänsen mit ihren Augen, bis die Vögel in der Entfernung kleiner und kleiner wurden und schließlich nur noch winzige schwarze Punkte am wolkenlosen blauen Himmel waren.
    »Hast du das gesehen?«, fragte Katie.
    Susannah nickte.
    »Das wäre toll, nicht? Wenn man fliegen könnte?«
    »Ja.«
    Die Menge begann sich zu zerstreuen. Gruppen bildeten sich um Betty, und man legte ihr die Hände auf die Schulter und murmelte Trostworte.
    Susannah drehte sich um und folgte der Menge. Matt ging vor ihr und unterhielt sich mit Quinn. Katie rührte sich nicht.
    »Kommst du, Kate?«, frage Susannah. »Das Fest für Barfuß im Waschsalon beginnt jetzt.«
    »Ich weiß«, sagte Katie. »Ich komme später nach. Ich muss noch … Ich habe etwas für Barfuß geschrieben.«
    »Hast du? Ich würde es unendlich gern sehen.«
    Katie schüttelte den Kopf: »Nein. Es ist nur für Barfuß bestimmt. Ich will mit dem Kajak rausfahren und es lesen, allein. Dann komme ich.«
    Susannah sah sie an. Allein im Kajak in der Abenddämmerung, während jede Seele auf der Insel im Waschsalon sein würde und niemand sie hören konnte, falls sie ihr Paddel verlieren oder durch ein vorbeifahrendes Schiff zum Kentern gebracht oder von der Strömung erfasst würde.
    »Geh«, sagte Susannah zu ihrer Tochter. »Flieg.«

Danksagung
    I ch möchte so vielen Menschen danken: Joël und Margaret Thorsen haben mich in ihrem Leben und ihrem Zuhause willkommen geheißen und es mir ermöglicht, einen Eindruck davon zu bekommen, wie
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