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Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel
Autoren: Kathleen McCleary
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legte einen Arm um seine Taille. Er drehte sich zu ihr hin und umarmte sie, und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Ich liebe dich und die Kinder und unsere Familie mehr als alles andere sonst.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich liebe dich auch.«
    Er drückte sie noch enger an sich, und dieses Mal war sie zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, die Erste, die losließ.

29. Kapitel
    Susannah 2012
    A m Tag des Begräbnisses war es sonnig und klar. Nach einem langen, regnerischen Frühling war die Luft warm und roch lehmig, und jetzt, Ende Juni, war alles üppig und grün. Am Rand des Friedhofs saugten zwei Kolibris an einem blühenden Gewirr aus Prachtwinden, und Bienen summten in den wilden Nootka-Rosen. Über ihnen hackte ein Spechtpaar an dem abgestorbenen Holz einer alten Grautanne, um eine Nisthöhle zu schaffen.
    Barfuß trug eine saubere schwarze Hose und einen warmen grauen Sweater und natürlich keine Schuhe. Diese Hose war die einzige, die Betty hatte finden können, die vorn nicht zugeheftet werden musste. Zwar besaß er vermutlich irgendwo ein Paar Schuhe, aber er hatte sie nie in seinem Leben angehabt, und so schien es nicht angemessen zu sein, dass er sie jetzt tragen sollte.
    Quinn und Katie hatten ihn zusammengekrümmt auf dem Boden in seinem Bauernhaus gefunden, auf einer Brücke neben dem Holzofen, mit Toby an seiner Seite. Der Gerichtsmediziner sagte, er sei wahrscheinlich friedlich im Schlaf gestorben. Aus irgendeinem Grund hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Auf Katies Anruf hin waren Susannah und Jim wie wild die zerfurchten Straßen entlanggebraust und dann Hals über Kopf zum Farmhaus gerannt, wo sie Quinn und Katie neben Barfuß kniend angetroffen hatten. Die beiden hielten Toby umarmt und waren von einem Dutzend mit Erde und kleinen Setzlingen gefüllten Kaffeedosen umgeben.
    »Barfuß hat seine Pflanzen nachts immer in die Nähe des Ofens gestellt, damit sie warm blieben«, hatte Quinn gesagt und sein tränenüberströmtes Gesicht zu Susannah erhoben. »Wie können sie am Leben bleiben, und er ist tot?«
    Jetzt drängten sich über hundert Menschen um das Grab, dazu gehörten sämtliche Inselbewohner sowie Freunde, die aus so fernen Orten wie Ann Arbor oder San José gekommen waren. Betty, die inzwischen zu schwach war, um mehr als ein paar Schritte gehen zu können, saß mit der Sauerstoffflasche neben sich auf Dorothy Watsons Bank gegenüber vom Grab. Jim hatte sie dort hingebracht, bevor all die anderen eingetroffen waren. Sie wollte nicht, dass die anderen Inselbewohner das Ausmaß ihrer Schwäche wahrnahmen. Sie wollte Barfuß Ehre machen.
    Susannah und Matt standen wenige Meter von ihr entfernt neben dem Grab. Quinn saß mehrere Meter weit weg im Schatten einer Espe und streichelte Toby. Katie stand dicht bei ihrer Mutter. Nach Quinns Operation und Genesung hatten sie beschlossen, das Schuljahr auf Sounder zu beenden. Das Leben, das sie begonnen hatten, sich hier aufzubauen, veränderte sie, und sie wollten es zu Ende führen und diesen Veränderungen die Zeit geben, sich zu festigen, damit sie auch in Tilton noch fortwirken konnten. Matt reiste hin und her, um sie jeden Monat zu sehen, und Lila hatte in diesem Frühling zwei Wochen gemeinsam mit ihnen verbracht.
    Susannah lehnte sich an Matts Schulter, während Jim die Grabrede zu verlesen begann, die er für Barfuß verfasst hatte. Jims heisere Stimme brach mehrere Male, während er an den Mann erinnerte, der sich seiner als Kind angenommen und ihm das Schwimmen und die Liebe zu den Pflanzen und ihren Anbau beigebracht und ihn Kunstwerke und schöne Dinge zu schätzen gelehrt hatte – an den Mann, der in jeder außer in biologischer Hinsicht sein Vater gewesen war. Er sprach über das Werk von Barfuß – die dreißigtausend Pflanzen, die er für das Herbarium der University of Michigan gesammelt hatte, und seine Entdeckung einer wilden krankheitsresistenten Melone in Kalkutta, dank derer seinerzeit die kalifornische Melonenernte gerettet wurde – und über die Medaille, die ihm wegen seiner Verdienste um die weltweite Landwirtschaft verliehen worden war. Während er sprach, erhob sich Toby und ging zu Jim, setzte sich vor ihn hin und blickte ihn mit auf die Seite gelegtem Kopf unverwandt an, als würde er ebenfalls zuhören.
    Jim hatte seine Rede mit Zitaten von Goethe, Mencken und Dumas gespickt, wobei jedes ein so lebhaftes Bild von Barfuß hervorrief, dass Susannah geradezu sah,
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