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Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel
Autoren: Kathleen McCleary
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hätte erzählen sollen. Ich habe Jahrzehnte und fünf oder sechs Therapeuten gebraucht und musste sehr viel Schmerz durchleben, um das alles zu verarbeiten. Ich dachte, du würdest dadurch, dass ich dich gleich nach dem Unfall zum Psychiater schickte und dann einfach unser Leben weiterführte, in der Lage sein, es hinter dir zu lassen. Aber als du in diesem Herbst auf die Insel zogst, begann ich mich zu fragen, was da nicht stimmte.
    Ich wollte an Thanksgiving kommen, weil ich von Angesicht zu Angesicht mit dir sprechen wollte. Ich wollte es dir erklären. Ich wollte sichergehen, dass du dir nicht immer noch die Schuld gibst. Aber dann warst du mir gegenüber so aufgebracht … so verärgert. Ich dachte, du würdest nie wieder mit mir sprechen, wenn ich dir von der Abtreibung erzählte. Aber ich wusste, dass ich es dir sagen musste. Das ist der Grund, warum ich mit dir allein sprechen wollte.«
    Susannah erinnerte sich an die wiederholt geäußerte Bitte ihrer Mutter: »Ich muss mit dir reden.«
    »Ich habe das Gewicht dieser Schuld jahrzehntelang mit mir herumgetragen«, fuhr Lila fort. »Wo ich auch hinging, was ich auch tat. Erst seit Kurzem bin ich imstande, es als das zu sehen, was es war: ein Unfall. Ein reines Unglück.« Sie seufzte. »Ich habe mich so lange abgemüht. Dann gab mir Tessa im vergangenen Jahr ein Buch von einem christlichen Theologen. Ich habe mich unendlich darüber geärgert, dass Tessa immer versuchte, mir zu helfen, darüber hinwegzukommen. Aber ich schlug das Buch auf und stolperte über einen Satz, der irgendwie zu mir passte: ›Vergeben heißt, einen Gefangenen freizulassen und zu entdecken, dass man selbst der Gefangene gewesen ist.‹
    Ich war es leid, eine Gefangene zu sein. Sobald ich mir vergab, war das Gewicht verschwunden. Es war ganz einfach. Das wünsche ich mir für dich, Susie.«
    »Es ist schwer«, erwiderte Susannah. »Ich bin diejenige, die sie losgelassen hat.«
    »Du warst dreizehn «, antwortete ihre Mutter. »Dein Vater hat ihre Schwimmweste aufgeschnallt; er hat getrunken; er ist zu schnell gefahren. Keiner von uns hat es gewollt. Dein Vater hat seine Schuld nie verwunden. Ich glaube nicht, dass er mir nach jenem Tag noch einmal in die Augen gesehen hat. Es ist genug. Wir alle haben wieder und wieder und wieder dafür bezahlt. Wenn ich es loslassen kann, kannst du das auch. Ich hatte gehofft, du würdest das begreifen. Ich hatte gehofft, dass es bei diesem Umzug vielleicht darum ginge – darum, gut zu dir selbst zu sein. Ich habe erkannt, dass ich ein wertvoller Mensch bin. Wir alle sind das, Schatz.«
    »Es tut mir leid«, sagte Susannah. »Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musstest. Ich kann es mir noch nicht einmal vorstellen. Es ist nicht fair. Du hast das nicht verdient.«
    »Niemand von uns hat das. Noch nicht einmal dein Vater. Er war krank. Er hat Janie geliebt. Er hat dich und Jon geliebt. Er hat mich geliebt. Und ich weiß, ich weiß , dass es nicht meine Schuld war. Und ich hoffe aus ganzem Herzen, Susannah, dass du eines Tages begreifen wirst, dass es auch nicht deine Schuld war.«
    Susannah dachte an die Welle, auf die sie vor ein paar Stunden gekracht waren, an die Wucht des Aufpralls, als sie auf sie trafen.
    »Wir sind heute Abend auf eine Welle geprallt, als ich das Boot fuhr, um Quinn in die Klinik zu bringen«, berichtete sie. »Es hat sich angefühlt, als würden wir gegen eine Mauer prallen.« Sie dachte jetzt laut, ohne sich der Anwesenheit ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung bewusst zu sein. »Es war wirklich so. Und seither habe ich über den Tag nachgedacht, an dem wir auf die Heckwelle geprallt sind …« Sie brach ab. Es war zu nahe. Was, wenn es heute Abend erneut passiert und Katie oder Quinn aus dem Boot in das schwarze Wasser geschleudert worden wäre? »Ich habe erst heute Abend, als ich gegen die Welle geprallt bin, gemerkt, dass es sich so anfühlen kann«, fuhr Susannah fort. »Wie ein Autounfall oder dergleichen, mit solch einer Wucht.«
    »Lass es los«, sagte Lila. »Es war nie deine Schuld. Dein Vater war betrunken und ist zu schnell gefahren. Er hat Janies Schwimmweste aufgeschnallt. Das lag alles nicht an dir.«
    Susannah wurde von ihren Tränen überwältigt: »Ich habe sie so fest gehalten, Mom, weil Dad so schnell gefahren ist. Ich habe sie so fest gehalten.«
    Sie hörte, wie ihre Mutter scharf die Luft einsog und gegen ihre Tränen ankämpfte. »Es lag nicht an dir! Es war nicht deine Schuld,
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