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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch
Autoren: Zoran Zivkovic
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nicht auftauchen.«
    Er sah mich zweifelnd an.
    »Woher wissen Sie das?
    »Intuition.«
    »Das ist auch nicht gerade wissenschaftlich.«
    »Ich fürchte, etwas Wissenschaftlicheres kann ich Ihnen zu dieser Stunde nicht bieten. Ich muss jetzt gehen.«
    Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, dann verabschiedeten wir uns mit einem Händedruck. Ich hätte ihm gern noch etwas
     Tröstliches zum Abschied gesagt, aber mir fiel nichts ein. Ich wünschte ihm nicht einmal eine gute Nacht, weil es mir unpassend
     schien. Die Nacht, die ihm bevorstand, würde alles andere als gut sein.
    Der Pförtner stand auf, sein Blick begleitete mich, als ich an ihm vorüberging, doch er sagte nichts. Ich hatte den halben
     Weg zum geparkten Auto zurückgelegt, da merkte ich, |206| dass irgendetwas nicht war, wie es sein sollte. Ich schaute mich unsicher um, doch dann ging mir ein Licht auf. Das monotone
     Trommelgeräusch um mich herum hatte aufgehört. Es regnete nicht mehr. Ich hob die Augen. In diesem Stadtviertel war die Straßenbeleuchtung
     nicht sehr stark, sodass ich durch die aufgerissene Wolkendecke den nächtlichen Himmel und ein paar glitzernde Pünktchen sehen
     konnte. Ich lächelte. Seit Wochen hatte ich keinen Stern mehr gesehen.
    Ich setzte mich ins Auto, fuhr jedoch nicht sofort los. Mein Blick wanderte über den fast leeren Parkplatz. Ich zog das Handy
     aus der Tasche und rief Vera an.
    »Ich bin’s«, sagte ich, als sie sich meldete. »Wo bist du?«
    »Noch bei Maja.« Ihre Stimme klang niedergeschlagen. »Und du?«
    »Ich komme gerade vom Institut für Gerichtsmedizin.« Ich zögerte ein wenig. »Ich habe keine guten Nachrichten.«
    Vera schwieg kurz.
    »Habe ich auch nicht erwartet. Was war los?«
    »Das Buch hat noch ein weiteres Opfer gefordert.«
    Wieder verging eine Zeit lang in Stille.
    »Wen?«
    »Fräulein Doktor Vidić. Erinnerst du dich?«
    »Was ist passiert?«
    »Sie hat das Buch geöffnet, obwohl ich sie gewarnt hatte, es nicht zu tun.«
    »Dieses schreckliche Buch!« Veras Stimme wurde lauter. »Hast du es endlich an dich gebracht?«
    »Nein. Es ist verschwunden.«
    Wieder stockte das Gespräch.
    »Wie ist es verschwunden?«
    »Ich erzähle es dir, wenn wir uns sehen. Bleibst du noch lange bei Maja?«
    »Vielleicht bleibe ich heute hier und schlafe bei ihr. Sie braucht mich.«
    |207| »Selbstverständlich. Dann melde ich mich also morgen bei dir …«
    »Ich werde morgen früh in den Laden gehen. Ich werde einen Zettel anbringen, dass die Buchhandlung eine Zeit lang geschlossen
     bleibt.«
    »Vera …«
    »Sprich jetzt nicht darüber, bitte«, fiel sie mir ins Wort. »Wir reden morgen. Mach’s gut.«
    Sie unterbrach die Verbindung, ehe ich ihren Gruß erwidern konnte. Das traf mich ein wenig, aber ich nahm es ihr nicht übel.
     Wie konnte ich auch? Ich wusste, in welchem Zustand sie sich befand. Und zweifellos war sie auch nicht gut zu sprechen auf
     mich nach allem, was geschehen war. Und das mit vollem Recht! Hätte ich nicht geschlafen, dann wäre ihre Freundin nicht umgekommen.
    Ich ließ den Motor an und fuhr nach Hause. Seit Tagen war ich nicht dort gewesen. Zum Glück hatte ich keine Haustiere, um
     die ich mich hätte kümmern müssen. Meine Aufmerksamkeit verlangten lediglich drei ziegelrote Blüten in dem Blumentopf auf
     dem niedrigen Tisch im Arbeitszimmer. Ich würde sie gleich gießen, wenn ich heimkam. Hoffentlich waren sie nicht verwelkt!

|208| 38.
    Auf dem Weg zur Arbeit steckte ich mitten im morgendlichen Berufsverkehr, als ich mein Handy hörte. Es klingelte siebenmal,
     ehe ich es endlich schaffte, am Bordstein anzuhalten und es herauszuholen.
    »Vera«, sagte ich, ohne zu warten, bis ich sie hörte. Das Display zeigte ihre neue Nummer. Und es konnte auch niemand anderes
     sein.
    »Dejan! Ich wollte schon auflegen.«
    »Ich bin im Auto. Ich konnte mich nicht früher melden. Wo bist du?«
    »Vor der Teestube.«
    »Was machst du denn dort?!«, fragte ich erstaunt.
    »Du hast mir gesagt, ich solle dir melden, wenn der Patient erscheint, der Bücher dalässt.«
    »Ja, und?«
    »Er ist da gewesen. Er wollte in den Laden, aber ich hatte die Tür abgeschlossen. Ich habe ihn auf die Mitteilung hingewiesen,
     dass er geschlossen ist. Dann hat er ein Buch hochgehoben.«
    Sie verstummte.
    »Vera?«
    Ihre Stimme zitterte. »Endlich habe ich es gesehen.«
    »Es ist alles in Ordnung. Was war dann?«
    »Er ist langsam davongezogen. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich habe mir auf die
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