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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch
Autoren: Zoran Zivkovic
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war, das alte Handy vergessen zu haben. Hätte ich mit dem alten
     gesprochen, so hätten uns auch andere Ohren hören können.
    Bald vernahm ich von einer Seite des Korridors eilige Schritte. Ich ging Doktor Dimitrijević entgegen.
    Als wir aufeinandertrafen, sagte ich: »Ich hatte gedacht, Sie seien hier«, wobei ich nach hinten, in Richtung »Kühlschrank«
     wies.
    |196| »Eine Autopsie ist nicht notwendig. Wir wissen, dass wir keine Ursache für den Tod von Fräulein Bogdanović finden werden.
     Gehen wir.«
    Wir gingen in die Richtung, aus der er gekommen war.
    »Wohin?«
    »Zur Kammer.«
    »Zur Kammer?«
    »Eine hermetisch isolierte Kammer zur Untersuchung hochinfektiöser, giftiger und radioaktiver Substanzen.«
    Ich blieb auf der Stelle stehen. Doktor Dimitrijević ging noch zwei Schritte weiter, dann blieb auch er stehen und sah mich
     fragend an.
    »Das Buch …«, sagte ich mit halber Stimme.
    Er nickte.
    »Jemand will es untersuchen?«
    »Ja. Kollegin Vidić. Sie ist gerade hineingegangen.«
    »Das darf sie nicht!«, rief ich aus. Ich sprang auf Doktor Dimitrijević zu und packte ihn am Ärmel. »Schnell! Führen Sie mich
     hin!«
    Er sah mich verwundert an. Er wollte etwas fragen, hielt sich jedoch zurück. Er lief voraus. Wir hasteten die Stufen zum ersten
     Stockwerk hinauf, eilten durch einen langen Korridor und erreichten schließlich eine Metalltür, die kein gewöhnliches Schloss
     hatte. Der Doktor holte ein Kärtchen aus der Brusttasche seines weißen Mantels und zog es durch einen Schlitz am Türrahmen.
     Vier rote Lämpchen blinkten kurz, dann wurden sie grün. Er musste die Türklinke mit beiden Händen heranziehen, um zu öffnen.
    Ich flog vor ihm hinein. Die Mitte des Raumes nahm eine walzenförmige Kammer von etwa zwei Meter Durchmesser ein, die vom
     Fußboden bis zur Decke reichte. An der abgerundeten Tür befand sich in Kopfhöhe ein Fensterchen. Mit zwei Schritten war ich
     dort und schaute nach innen.
    Hätte ich nicht gewusst, dass es sich um Fräulein Doktor |197| Vidić handelte, dann hätte ich sie nicht erkannt. Sie hatte einen gelben Plastikanzug an, ähnlich einem Taucheranzug, und
     auf dem Kopf so etwas wie einen Kosmonautenhelm. Hinter ihr erhob sich ein Regal, voll mit verchromten Instrumenten, mit Fläschchen
     und Glasgefäßen. Sie saß an einem kleinen Tisch in der Mitte, auf dem das blaue Buch lag. Ungeöffnet.
    Ich klopfte hart gegen das Fensterchen. Der Helm drehte sich zu mir um. Hinter dem Visier sah mich lächelnd ein übermäßig
     geschminktes Gesicht an.
    »Nicht öffnen!«, donnerte ich.
    Sie tippte mit den Fingerspitzen an die Stellen auf dem Helm, hinter dem die Ohren saßen, und schüttelte den Kopf.
    »Ich höre Sie nicht«, sagte ihre Stimme aus einem Lautsprecher irgendwo hinter mir.
    Doktor Dimitrijević legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Drücken Sie hier, wenn Sie ihr etwas sagen wollen.«
    Er zeigte mir einen der Knöpfe auf einer kleinen Kontrolltafel neben dem Kartenschlitz an der Tür.
    Ich drückte ihn unnötig fest.
    »Öffnen Sie es nicht!«, rief ich wieder.
    Das Lächeln der stark geschminkten Lippen wurde etwas breiter.
    »Keine Angst, Herr Kommissar. Hier bin ich sicher. Es wird mir nichts geschehen.«
    »Sie verstehen nicht! Das ist kein gewöhnliches Buch! Es wird Sie umbringen, wenn Sie es öffnen!«
    »Natürlich wird es mich nicht umbringen, auch wenn es noch so ungewöhnlich ist! Gleich werden wir sein Geheimnis lüften.«
    Sie wandte den Kopf wieder dem Tisch zu. Ihre Hand ging wieder zum Buch, doch die Bewegung blieb unvollendet. Erneut sah sie
     mich an und lächelte noch immer.
    »Ich habe heute Nacht von Ihnen geträumt, Herr Kommissar. Sie haben mich sehr erschreckt. Sie hatten zwei Gesichter. |198| Wenn ich herauskomme, werde ich Ihnen den Traum erzählen.«
    »Wieder drückte ich den Knopf mit aller Gewalt.
    »Nicht!«
    Mir kam es so vor, als bräche sich mein Schrei noch in dem weißen Raum, als ich, das Gesicht an das Fenster gedrückt, hilflos
     zusah, wie sie den Buchdeckel hob. Für einen Augenblick geschah nichts. Es sah aus, als wäre ein ungewöhnlich bekleideter
     Leser in ein gewöhnliches Buch vertieft. Doch dann sank ihr Kopf auf den Tisch und verdeckte das blaue Buch.

|199| 36.
    Völlig verstört wandte ich mich an Doktor Dimitrijević, er solle mit dem Kärtchen die Tür zur Kammer öffnen, als jemand von
     draußen anklopfte. Der Doktor und ich sahen uns kurz an, dann lief er eilig zur Tür des weißen
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