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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du
Autoren: Nancy Salchow
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verblassen lässt. Hinzu kommt die Angst vor dem Ungewohnten. Bin ich wirklich stark genug, um in der neuen Gruppe zurechtzukommen?
    Die Gruppe B hat zu der Zeit mehr Teilnehmer als Räume, deshalb werde ich in meinem alten Zimmer bleiben dürfen, verspricht man mir. Bei Hanna.
    Aber reicht das an Vertrautem? Bin ich schon stabil genug, um den Tag mit Morgengymnastik zu beginnen und fast lückenlos Therapien mitzumachen?
    Ich fürchte mich vor dem Neuen, vor dem Unbekannten. Sogar die Mahlzeiten, die ich schon gemeinsam mit der neuen Gruppe einnehmen soll, jagen mir Angst ein. Aber bis es soweit ist, steht meine erste Teilnahme an der Depressionsrunde an.
    Es ist der 4. März 2013. Der erste Tag meines neuen Lebens.

    Kapitel 3 – Der 4. März

    Montag, 14.30 Uhr – Depressionsrunde, Therapieraum.
    Mein Therapieplan informiert mich relativ unspektakulär über diese Tatsache.
    Die Erkältung sitzt mir noch immer in den Knochen und ich habe weder Lust auf ein Zusammensitzen mit anderen Depressiven noch möchte ich in die Gruppe B eintreten, wie es mir die Ärzte angeraten haben.
    Alles, was ich will, ist mein Bett. Dementsprechend demotiviert gehe ich mit strähnigem Haar, schlechter Haut und Schlabberpulli in besagten Therapieraum.
    Mir ist egal, wie ich aussehe. Erst recht, was andere darüber denken. Ich will einfach nur die Zeit totschlagen. Und wie meine Krankenhauserfahrung zeigt, interessiert es die totzuschlagende Zeit herzlich wenig, ob ich geschminkt bin oder meine Jogginghose Flecken hat.
    Es ist kurz vor halb drei. Ich bin die Letzte, die den Raum betritt. Alle anderen Teilnehmer sind schon da.
    Ich suche mir einen Platz hinten im Raum, direkt neben der Tafel, der einzige Stuhl, der noch frei ist. Von hier aus sehe ich alles und jeden. Kein schlechter Anfang.
    Und plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts, dieser eine Moment. Der Moment, der aus meinem bisherigen Klinikaufenthalt eine neue Etappe und aus diesen bisherigen, eher trostlosen Zeilen meines Rückblicks einen ersten Anflug von Leben werden lässt.
    Leben.
    Ja.
    Das ist die passende Umschreibung. Die passende Umschreibung für alles, was in genau dieser Sekunde geschieht, auch wenn ich diesen Moment erst später als diesen einen besonderen Augenblick erkennen werde.
    Er sitzt mir genau gegenüber. Zwischen uns vielleicht vier Meter. Oder fünf?
    Er ist nicht der Schönling im eigentlichen Sinne, aber vermutlich deshalb umso interessanter. Genau die Art von Mann, die mir (und das wird mir so richtig erst in diesem Augenblick bewusst) schon immer gefallen hat. Ich mag keine aalglatten Typen mit Föhnfrisur oder Schmierhaaren. Ich mag es kantig, besonders, eigen. So wie bei ihm, dem noch namenlosen Patienten im Therapieraum. Dem Mann im Kojak-Look, genauso, wie ich es mag. Vor allem, wenn Männer eine so schöne Kopfform haben wie er.
    Eine schöne Kopfform. Ist es tatsächlich das, was mir in diesem Moment als Erstes auffällt?
    Ich war nie so oberflächlich, dass mich das gute Aussehen eines Mannes über die Maßen interessiert hätte, nicht zuletzt deshalb, weil ich verheiratet bin und meinem Mann, mit dem ich zu dem Zeitpunkt seit 14 Jahren zusammen bin, immer treu war.
    In diesem Augenblick jedoch packt mich eine fast schon unangemessene Aufmerksamkeit. Nicht, weil er mir optisch gefällt, zumindest nicht nur , es ist vielmehr der flüchtige Blick in seine Augen, der meine Sinne für den Bruchteil von Sekunden zum Stillstand bringt.
    Augen in geradezu leuchtendem Eisblau, die so tief und so voller Emotionen sind, dass ich für einen Moment innehalte. Der Schmerz, den er durchgemacht hat, muss bohrend sein. Das erkenne ich bereits beim ersten Blick in das tiefe Eisblau, in dem ich für einen zeitlosen Atemzug versinke. Und doch erkenne ich neben all dem Schmerz eine so unglaubliche Kraft in seinen Augen, dass ich Gänsehaut bekomme.
    Die Realität holt mich wieder ein, als Frau Geiss, unsere Therapeutin, den Raum betritt und die Tür hinter sich schließt.
    Gut sieht sie aus. Blonde Engelslocken mit entsprechender Elfenfigur. Irgendwie nicht die Art von Frau, die man sich als Therapeutin vorstellt. Aber warum eigentlich nicht?
    „Hallo, liebe Teilnehmer“, flötet sie, während sie sich auf den Stuhl vor der Tafel setzt, „ich begrüße Sie herzlich zur Depressionsrunde.“
    Passen die Worte herzlich und Depressionsrunde wirklich zusammen?
    Ich schlucke.
    Mein Blick wandert erneut zu den eisblauen Augen. Irgendetwas darin blendet den Rest
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