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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du
Autoren: Nancy Salchow
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können.
    Carmen sitzt auf dem Bett neben meinem und spricht mir Mut zu. Genau wie Jennifer, die eine außergewöhnliche Begabung für das Trösten zu haben scheint. Woher hat sie diese Gabe? Und wer tröstet sie? Immerhin wird sie doch auch nicht grundlos in der Klinik sein. Oder?
    Ich weine. Ich rede von Martin und meiner Mutter. Von meiner Angst. Und ich weine. Noch immer und immer wieder, bis der Faden für den Rest des Tages reißt. Alles wird blass. Bis das Blasse grau wird – und das Graue schwarz.

    Diesem ersten gesichtslosen Tag folgen viele weitere dieser Art. Es sind die Tabletten, die mich so ruhig werden lassen, dass ich, wenn ich gerade nicht schlafe, sogar an meinem Manuskript, einem Teil meiner Wildrosen-Serie, arbeite. Und es macht sogar Freude, zumindest daran erinnere ich mich.
    Ansonsten ist im Rückblick nicht mehr viel da.
    Ich weiß, dass die Psychologin, Frau Geiss, mit mir gesprochen hat. Ich habe noch ihr Gesicht vor Augen, weiß, dass ich ihr gegenüber gesessen habe. Aber wo? In einem Büro? In meinem Zimmer?
    Dass die fehlende Erinnerung an die ersten Tage den Tabletten zuzuschreiben ist, erklärt man mir später. Vielleicht ist es auch ganz gut so.
    Ich erinnere mich jedoch an den Drang, meinen Draht zur Welt nicht zu verlieren. Mein Vater Albert und mein Mann David sind in dieser Zeit die einzigen Menschen, von denen ich Besuch bekomme. Andere Gesichter würden mich überfordern. Stattdessen gebe ich hin und wieder Lebenszeichen im Internet, vorzugsweise auf Facebook, von mir. Lebenszeichen, die ich in die Welt schicke und deren Echo mir neuen Mut zuspricht. Das Echo von Menschen, die mir fremd und vertraut zugleich sind.
    Irgendwie, das wird mir ansatzweise klar, bin ich doch nicht allein.
    Oder?
    Mein Vater behandelt mich mehr als sonst schon als Kind. Sein kleines Mädchen muss beschützt werden. Er gibt mir mit seinem von der Natur gegebenen Optimismus Hoffnung. Mit jedem seiner Besuche, bei denen er mir von meinem Hund Harkon und unserer Katze Emmi erzählt, die ich beide so vermisse. Aber auch an meinen Mann David klammere ich mich. Er ist Familie, Vertrautheit, Sicherheit. Irgendwie das letzte bisschen meiner Normalität.
    Wenn mein Vater und David nicht da sind, schlafe ich viel. Mein Körper scheint sich das, was er braucht, von selbst zu holen.
    Mein Zimmer teile ich mittlerweile mit Hanna, einer sehr amüsanten Zeitgenossin, Mitte Zwanzig, kräftig gebaut mit blonder Kurzhaarfrisur, die über beinahe jeden Satz aus meinem Mund lacht. Ein Umstand, der mich in meinem alten Leben genervt hätte. Hier ist es jedoch genau das Richtige. Die perfekte Begleitung auf meinem Weg, das wird mir schnell klar. Niemand gibt so unbewusst so viel Hoffnung wie Hanna.
    Und so gehen die Tage und Nächte nahtlos ineinander über. Dazwischen wieder der Schlaf, eine Leidenschaft, die ich mit Hanna teile. Eine Tatsache, die sie zur perfekten Zimmernachbarin macht.
    Schlaf. Viel Schlaf. Ein endloses Band, das nur von den Mahlzeiten unterbrochen wird. Mahlzeiten, bei denen nach und nach aus einer Viertelscheibe Brot eine halbe wird, aus einer halben eine ganze und aus einer ganzen irgendwann sogar zwei.
    Hoffnung.

    *

    Statusmeldung, 1. März 2013

    Liebe Freunde,
    ich weiß, ich mache mich gerade etwas rar. Ich bin noch immer im Krankenhaus, was wohl noch eine Weile so bleiben wird. Noch geht es mir nicht sehr viel besser, was es mir schwer macht, darüber zu reden. Aber im Grunde stehen alle Chancen auf baldige Genesung, was mich hoffen lässt, dass es auch mir bald besser geht. Ich möchte euch von Herzen für die lieben Grüße danken und euch sagen, dass mir eure Worte sehr geholfen haben und noch immer helfen. Ihr seid ein kleiner, aber wichtiger Draht zur Welt. Danke. Nancy

    *

    Ich mache Fortschritte, das merken auch die Ärzte. Meine anfängliche Lethargie ist einer beinahe schon guten Laune gewichen.
    Ich schreibe. Ich rede. Ich esse.
    Gründe zur Hoffnung.
    Ich habe angefangen, an den Therapien teilzunehmen. Therapien, die die Gruppendynamik und das Zugehörigkeitsgefühl stärken sollen.
    Ergotherapie, Bewegungstherapie. Alles läuft. Und ich laufe mit.
    Ein Grund für die Ärzte, mich von der Gruppe A, der geschlossenen Station, in die Gruppe B, die offene Station, einzuordnen. Die Gruppe, in der es mehr Therapien, mehr Gespräche, mehr Bewegung gibt. Irgendwie mehr von allem.
    Zeitgleich hat mich eine schlimme Erkältung erwischt, die meine Euphorie über die ersten Fortschritte
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