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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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Nachts, wenn die Arbeit getan war. Eine beharrliche, fast schleichende Umsicht zeichnete ihn aus. Keine Nachlässigkeit der Knechte und Mägde entging ihm, und merkwürdigerweise verstand er es, wenngleich es anfangs geschienen hatte, als nehme man nichts an ihm ernst, sich bei allen Autorität zu verschaffen. Er schimpfte nie, fluchen konnte er überhaupt nicht, er blieb immer gleich sanft und grinste gewöhnlich. Gewiß, er war ein wenig langsam, aber von einer fast unglaublichen Ausdauer, von einer Genauigkeit, die in Erstaunen setzte. Er war ein vorzüglicher Rechner und Abschätzer und verriet dabei einen Instinkt, der den Nutzen und Schaden einer Sache schon erkannte, ehe andere überlegen konnten. Er sparte mit dem, was ihm anvertraut worden war, als sei es seine eigene Sache, und blieb dabei fast gänzlich bedürfnislos für sich. Dadurch gab er allen, wenn auch kein bequemes, so doch ein gutes Beispiel. Er überhob sich über keinen, doch er blieb für sich. Auch das erwies sich als richtig. Wenn ihn auch die Knechte nicht sonderlich mochten und insgeheim viel über seine Bigotterie spotteten, sie gehorchten ihm doch, denn niemand konnte ihm je nachsagen, daß seine Arbeit darunter litt. Die Heimrathin war zufrieden mit ihm. Er hatte nur einen Fehler: er rauchte unausgesetzt Pfeife, und da ihm der Tabak zu teuer war, vermischte er ihn stets mit dürren, zerriebenen Blättern oder getrocknetem Pferdemist. Der Qualm davon stank unerträglich.
    Der Sommer stieg herauf und reifte eine pralle Ernte. Jeden Tag hieß es: mähen, mähen, mähen! In der dunklen Frühe sangen die Sensen der Aufhauser immer zuerst in den Roggen- und Weizenfeldern. Rauschend sanken die gemähten Büschel zur Erde, sanken und sanken. Langsam wurde es rot über dem fernen Hügelkamm hinter Bachhausen und Farchach. Die Lerchen stiegen trillernd ins Hohe. Die Vögel fingen zu singen an. Der leichte Dunst über den Äckern verwich, und es wurde unbestimmt hell. Schließlich strahlte die aufgehende Sonne schief über die tauglitzernden, wogenden gelben Flächen.
    Während des Mähens pflegte der Jani-Hans seine Pfeife an den Ackerrain zu legen, um sie bei der Brotzeit um neun Uhr gleich wieder bei der Hand zu haben.
    »Resei«, wisperten einmal die Knechte der Resl zu: »Jetzt geh hin … Jetzt geht’s grad noch!« Sie kicherten, und die Resl kicherte. Sie stapfte über das mit hohen Büscheln bedeckte Stoppelfeld an den Rain, lugte ein paarmal wie zufällig herum und erwischte die noch warme Pfeife. Sie kicherte wieder und setzte sich darüber, den offenen Pfeifenkopf unter ihren breiten Rock haltend. Eine Weile blieb sie so geduckt hocken und konnte das Lachen kaum verhalten. Als sei nichts weiter gewesen, kam sie in die Reihe der Mähenden zurück und biß, den blinzelnden Knechten zunickend, fortwährend auf ihre Lippen. Die Sonne stieg höher und höher. Die Körper dampften.
    Die Zwillinge kamen den Hang herab und brachten Milch und Brot. Erst nachdem sie den Ackerrain erreicht hatten, schrie der Jani-Hans »Brotzeit!« und alle hielten ein. Jeder schob die blinkende Klinge seiner Sense unter ein eben gemähtes Getreidebüschel, wischte sich veratmend mit der Hand den triefenden Schweiß vom Gesicht und ging hinter dem Baumeister drein. Der hatte es eilig, um zu seiner Pfeife zu kommen. Bei den großen, schnellen Schritten, die er mit seinen langen, stelzigen Beinen machte, war es kein Wunder, daß die anderen zurückblieben. Er hockte, während diese allmählich herankamen, schon eine Weile da, stocherte mit dem Finger im gefüllten Pfeifenkopf, zündete ein Schwefelhölzchen nach dem andern an und zog, zog und zog, was er nur konnte. Der feuchte Tabak wollte nicht brennen. So feucht war er, daß der Hans bei jedem Zug den gallebitteren Saft auf die Zunge bekam und ärgerlich ausspuckte. »Hmhm!« brummte er, »will und will nicht, hm!« Er drückte den Zeigefinger noch fester in den Pfeifenkopf, zündete den Tabak erneut an und zog und zog. Vergebens. Wieder spuckte er kräftig, schier angeekelt und verzog seinen breiten, lefzigen Mund. Sein Gesicht sah aus, als habe er auf einen bitteren Stechapfel gebissen. Er schluckte und zog wiederum. Die Herumsitzenden kauten an ihrem Brot, sagten kein Wort und grinsten einander unvermerkt an. Aufmerksam und unverdächtig verfolgten sie die Manipulationen des Rauchers, der immer unruhiger und eifervoller wurde.
    »Tja, hm! … Jetzt kenn’ ich mich nicht mehr aus! … Hm, scheußlich! Was
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