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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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konnte. Einem alleinigen, verwitweten Weibsbild gegenüber hätten sie sich wahrscheinlich im Verlauf der Zeit nicht mit dem nötigen Respekt benommen. Unleugbar, das Müllerische lag der Heimrathbäuerin tief im Blut, grob und nüchtern war sie und wußte immer, was sie wollte. Sie konnte sich, wenn es galt, gegen jeden Widerstand durchsetzen. Um aber auf so einem großen Hof die rechte Ordnung aufrecht zu erhalten, dazu gehörten vier Augen und zwei Hirne. Ein Mann für den Stall und die Felder, ein Weib fürs Haus. Zudem waren fünf unmündige Töchter da, die sich zwar beständig besser einfügten und zunächst keine weiteren Sorgen machten, doch die meisten von ihnen waren, da sie ja durch ihre Arbeit fast stets mit ihm zu tun gehabt hatten, seit jeher mehr am Vater als an ihrer Mutter gehangen. Wie Wachs oder Teig ist ein junger Mensch. Geformt wird er von dem, der sich daran macht, ihn zurechtzukneten. Dazu hatte die Heimrathin weder Geduld noch Zeit.
    Den Verwalter nannte man damals »Baumeister«. Es läßt sich denken, daß sich alle möglichen Männer aus der näheren und weiteren Umgebung um den Posten bewarben. Zum ersten Male kamen zum Teil gänzlich fremde Menschen auf den Hof, und die Kinder fanden eine solche Abwechslung unterhaltlich. Anfänglich musterten sie den Bewerber mit geschwinden, scheuen Blicken und grüßten kaum, nach und nach aber – insbesondere, wenn dieser sich allzu bieder und unterwürfig zeigte – schauten sie viel dreister drein, fanden im Benehmen des Fremden allerhand Komisches, gingen aus der Stube und ahmten unter lautem Gelächter seine Gesten und seine Stimme nach. So laut lärmten sie, daß der betroffene Bewerber nicht selten den übermütigen Spott vernehmen konnte und eine peinliche Miene bekam.
    Der erste Baumeister, welcher der Heimrathin vom Pfarrer empfohlen wurde, war ein unverheirateter Bruder vom Jani-Bauern in Farchach. Dieses Dorf liegt östlich von Aufkirchen, in einem tiefen Kessel des Tales. Nur der spitze Kirchturm ragt daraus hervor. Noch jetzigerzeit sagt man von den Farchnern, sie seien uralt, denn nichts hat sie und ihr Dorf verändert. Wenn wirklich einmal ein Fremder dorthin kommt, so schauen ihn die Leute abweisend und ungut an, als wollten sie sagen: »Was suchst denn du bei uns? Haben wir dir vielleicht geschrien? Mach bloß, daß du weiterkommst!«
    Der Jani-Hans war ein baumlanger, etwas linkischer Mensch mit glotzigen Augen und schon angegrauten, kurzen Stachelhaaren. Er mochte ungefähr fünfundvierzig Jahre alt sein. Überall kannte man ihn als einen ungewöhnlich bigotten Menschen, der – wie viele wissen wollten – das fromme Gelübde abgelegt hatte, nur dann zu heiraten, wenn seine Zukünftige sich bereit fände, mit ihm eine »Josephs-Ehe« zu schließen. Eine solche wie üblich von der Kirche geweihte Ehe unterscheidet sich von der gewöhnlichen dadurch, daß die beiden Gatten sich verpflichten, jeden Geschlechtsverkehr miteinander zu vermeiden. Mann und Weib haben sich meist schon vor Jahren mit einem oder einer Heiligen »verlobt«, und das Vermögen der beiden fällt nach ihrem Ableben der Kirche zu.
    Der Jani-Hans kam in die Kuchl vom Heimrath, streckte den langen, dicken Finger seiner riesigen Hand bedächtig in das an der Wand hängende Weihwasserfäßchen, bekreuzigte sich stehenbleibend und sagte: »Gelobt sei Jesus Christus, Heimrathin! … Der hochwürdige Herr Pfarrer hat mich wissen lassen, ich soll bei dir Baumeister werden.« – »In Ewigkeit, Amen!« antwortete die Heimrathin, und es klang sehr spöttisch. Es lag ihr fern, fromme Ausdrücke frevelhaft herabzumindern, indessen Bigotterie, obendrein bei einem Mannsbild, war ihr zuwider. Außerdem brachte der Jani-Hans, den sie wohl schon öfter gesehen, aber nie näher kennengelernt hatte, alles so aufdringlich gottselig mit seiner hellen Weiberstimme hervor, daß sie – die lebhafte, handfeste, etwas rauhe Männer schätzte – schon ärgerlich war.
    »Hock dich nur her!« forderte sie den zerschlissen grinsenden Jani-Hans auf, »zum Rosenkranzbeten ist Zeit, wenn wir handelseins sind.« Und als der baumlange Mensch nun langsam auf die Bank zuging und im Niedersitzen »Vergelt’s Gott, Heimrathin« herausplapperte, sagte sie ganz grob: »Mit’m Löffel hat man bei euch die Flinkheit kaum gefressen, was?«
    Trotz alledem stellte sie den Hans ein, und es erwies sich, daß es kein Fehlgriff war. Der Baumeister war der erste in der Frühe und der letzte des
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