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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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hin, beugte sich über den Kranken und sagte wie einst in ihrer Jugend, vor ihrer Verheiratung, aber ratlos schmerzlich: »Ferdl? … Wie geht’s dir denn, Ferdl?« Da geschah etwas unerwartet Schreckliches, und es geschah so überstürzt, daß die Kinder laut aufschreiend aus der Kammer liefen. Dem Heimrath brach der Mund knackend weit auf, blutvermischte Schaumblasen traten auf seine zuckenden Lippen, die kleinen Augen wurden kugelrund, verdrehten sich und drohten aus den Höhlen zu quellen, fingerdick schwollen seine Schläfenadern an, und der Bauer schrie furchtbar, grauenhaft, unausgesetzt. Es waren unregelmäßige, bald langgezogene, bald kurze, gurgelnde, gehemmte, gräßliche Schreie, die durch Mark und Bein gingen und sich anhörten wie das hilflose Brüllen eines verendenden Tieres. Der Kranke warf die zitternden Arme gegen die hölzerne Kopfwand des Bettes und umspannte deren Kanten krampfhaft. Brust und Bauch wölbten sich, der ganze kräftige Körper streckte sich konvulsivisch, und die versteiften Beine stießen derart hart auf die Endseite, daß das Bett krachend auseinandersplitterte. Schwer plumpste der dicke Strohsack mit seiner Last auf den quietschenden Boden, der brüllende Bauer schleuderte die zerbrochene Kopfwand gegen die Fensterseite der Kammer und schlug wie ein Rasender um sich.
    In den ersten Augenblicken war die Heimrathin so fassungslos, daß sie wie gelähmt dastand. Ganz verstört sah ihr schreckensbleiches Gesicht aus. Endlich rang sie laut jammernd die Hände und rief zum Himmel auf: »Ja, um Gottes Himmels Christi willen! Ferdl! Mein Ferdl!« Mit blindem Mut versuchte sie ein paarmal die herausschlagenden Arme des Tobenden aufzufangen und festzuhalten, bekam aber dabei zwei oder drei so heftige Hiebe, daß sie taumelnd auf die Kammerwand zu sank und nur noch um Hilfe schreien konnte. Dickes Blut quoll aus ihrer Nase, die Haare hingen ihr ins Gesicht, ihre eine Wange schwoll an, und sie weinte zerstoßen, als der erste Knecht und zwei Mägde mit den angstverwirrten Kindern in die Kammer kamen.
    »Den Pfarrer! Den Pfarrer!« schrie sie, »schnell den Pfarrer holen!« und kam wieder halbwegs zu sich. Der Heimrath lag, blau und rot angelaufen, mit steif verrenkten Gliedern auf dem zerwühlten, zerfetzten Strohsack und rührte sich nicht mehr. Aber er röchelte noch. Der Knecht bekreuzigte sich schnell und lief weg, um den Geistlichen zu holen, die Mägde und die Bäuerin fingen zu beten an, und die Kinder weinten zwischenhinein. Einmal noch gab es dem Kranken einen Ruck, alle verstummten, er rülpste, als müsse er sich erbrechen, sein Kopf zuckte und sank auf die entblößte, haarige Brust. Einen Augenblick lang überlegte die Heimrathin, seufzte schmerzhaft und wischte ihr Haar aus dem verweinten Gesicht, dann aber besprenkelte sie den Sterbenden wiederum nur mit Weihwasser und fuhr fort mit dem Gebet.
    Als später der Pfarrer kam, wichen alle schweigend und scheu zur Seite. Der Knecht versuchte den verrenkten Bauer zurechtzulegen und merkte, daß er schon ganz erkaltet war. Trotzdem versah ihn der Geistliche mit der letzten Ölung, segnete ihn und sprach dabei die üblichen lateinischen Worte.
    »Er ist schon verstorben«, lispelte er der Heimrathin zu, als er damit fertig war und blieb mit gefalteten Händen stehen. Alle hatten es gehört. Die Bäuerin weinte nicht mehr. Ihr Gesicht war wieder hart und geduldig gefaßt, und klanglos ruhig sagte sie: »Herr, gib ihm die ewige Ruhe!« – »Und das ewige Licht leuchte ihm«, fielen die anderen ebenso ein.
    Erst spät am Nachmittag des anderen Tages kam der Doktor aus Wolfratshausen und bestätigte den Tod.
    Im hohen Alter erzählte die Resl manchmal von diesem Sterben, wenn irgendein Ereignis sie darauf brachte. Es machte aber stets den Eindruck, als spräche sie nur ungern davon, als zittere immer noch ein nicht überwundener Schrecken in ihr.
    »Geheißen hat’s, der Vater sei am hitzigen Gallfieber gestorben«, sagte sie dabei und setzte dazu: »Ich seh’s noch wie heute … Seine Hände sind noch dreckig vom Mistausfahren gewesen … Drei Finger der rechten Hand hat er ausgestreckt gehabt und an einem ist noch der Ehering zu sehen gewesen.«
    Viel lieber redete sie von allgemeinen und am allerliebsten von lustigen Begebenheiten.
    Nach dem Tode des Bauern war die Heimrathin gezwungen, einen Verwalter ins Haus zu nehmen, der die ganze Arbeit und alles, was damit zusammenhing, von Grund auf verstand und die Knechte regieren
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