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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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ledernen Gürtel der heiligen Monika unter dem Namen »Maria zum Troste« bei, und der Heimrath ließ in jenem Jahr die kleine Feldkapelle erbauen, die heute noch an der Straße zwischen Aufkirchen und Aufhausen steht. Ihrem Namen entsprechend verlangt die Gemeinschaft »Maria zum Troste« von jedem Mitglied, daß es zeitlebens einen geweihten, dünnen, schwarzledernen Gürtel um den bloßen Leib trage und sich streng an ihre religiösen Vorschriften halte. Am letzten Sonntag eines jeden Monats finden sich die Gürtelbrüder zu einem feierlichen Hochamt ein, gedenken im Gebet der in den letzten Jahren verstorbenen Mitglieder, und nachmittags findet eine Vesper mit einer Prozession an die Seitenaltäre der Pfarrkirche und in die Bruderschaftskapelle statt. Kein Heimrath hat, seit er den Gürtel trug, jemals gebadet.
    Das darauffolgende Frühjahr brach mit Schnee und Regen herein. Die tieferliegenden Wiesen und Äcker standen größtenteils unter Wasser. Schon seit einer Woche war der Heimrath einsilbig und lachte selten. An einem Nachmittag kam er patschnaß und ein wenig schlotternd in die Kuchl.
    »Der Hans fahrt für mich Mist«, sagte er und verzog sein Gesicht ein wenig. »Ich versteh’s nicht – mir ist die ganze Woche schon nicht wohl.« Er ging in die Stube, holte den Taubeerschnaps vom Ofenbrett, setzte sich hin und nahm einen starken Schluck. Die Bäuerin rief durch die halboffene Tür: »Zieh das nasse Zeug aus und hock dich zum warmen Herd her!«
    Der Heimrath gab nicht an und nahm noch einmal einen Schluck. Die Hitze stieg ihm ins Gesicht, inwendig drückte das Blut gegen sein schwer arbeitendes Herz.
    Er schnaubte hart.
    »Geh weiter!« sagte die Bäuerin abermals, »so patschnaß dahocken kann doch auch nicht gut sein!«
    Am runden eschernen Tisch in der Stube sitzend, schüttelte der Heimrath den Kopf, preßte ihn ein paarmal mit den groben Händen zusammen und versuchte, sich aufzurichten.
    »Ja, was ist denn das bloß? Was ist denn das? … Herrgott, Herrgott!!« stieß er halblaut aus sich heraus und sackte wieder zusammen. Er hielt den Hals der dunklen Flasche fest umspannt, dennoch zitterte seine Hand. Dicke Schweißperlen standen auf seiner eckigen Stirn. Mit glasigen Augen schaute er geradeaus. Jedes Ding verschwamm ihm.
    Die Bäuerin, die jetzt im Türrahmen auftauchte, blieb stehen, sah ihn leicht verwundert an und fragte: »Was fehlt dir denn?« Er aber machte nur eine schnelle, wegwerfende Handbewegung und gab keine Antwort. Hörbar knirschte er mit den Zähnen, raffte alle seine Kräfte zusammen und stand endlich. Ein ganz klein wenig wankte er.
    »Hast am End’ zu schnell und zu viel eingenommen von dem Schnaps?« fragte die Bäuerin, er aber überhörte es und machte etliche steife Schritte.
    »Ich glaub’, es ist besser, ich leg’ mich nieder«, brachte er ziemlich tonlos heraus, kam zur Tür, zog sie auf und wieder zu und torkelte unsicher wie ein Betrunkener die Stiege hinauf.
    »Du wirst doch nicht krank werden«, meinte die hinter ihm dreingehende Heimrathin, und es klang leicht besorgt. Als sie in der Ehekammer angekommen waren, brach der Bauer auf sein Bett nieder, schwer und ganz hilflos. Er war nicht imstande, sich auszuziehen, ließ stumm mit sich geschehen und bekam mit der Zeit ein erschreckend abweisendes Geschau. Steif lag er zuletzt im Bett, mit fest aufeinandergepreßten Lippen. Er starrte zur Decke und schnaubte fast pfeifend. Die Heimrathin sah, wie seine Nasenflügel sich dabei dehnten. Sie besprenkelte ihn mit Weihwasser. Er zuckte mit keiner Wimper dabei.
    »Brauchst was?« fragte sie bekümmert. Er rührte sich nicht.
    Drunten knarrte die Kuchltür und fiel ins Schloß. Die Schulkinder waren heimgekommen und lärmten geschäftig. Auf der Straße fuhr der Knecht mit dem vollen Düngerwagen vorüber. Die Räder knirschten im aufgeweichten Sand.
    Die Heimrathin ging zur Tür und rief den Kindern. Rumpelnd kamen sie daher und verstummten jäh, als sie ihnen sagte: »Der Vater ist krank.« Scheu, fast behutsam drückten sie sich in die Ehekammer, bekamen ernste Gesichter und große, erschreckte Augen. Sie blickten auf den reglos daliegenden Kranken, dessen Brust sich mühevoll hob und wieder senkte, und falteten benommen die Hände.
    Seit sie Bäuerin von Aufhausen war, hatte die Heimrathin ihren Ferdinand, wie das allenthalben dem Brauch entsprach, »Bauer« genannt. Diese Bezeichnung war dem sich freiwillig unterordnenden Respekt gemäß. Jetzt ging sie zum Bett
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