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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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weiter –, noch bevor sie mich begrüßt.
    Diese Art von zwischenmenschlichen Beziehungen ist übrigens ganz erstaunlich. Kein Tag vergeht, ohne dass man mich mit einem Interesse, das nicht geheuchelt wirkt, fragt, ob ich an diesem Morgen schon Darmwinde hatte. Instinktiv weiß ich, dass es unpassend wäre zu antworten: »Ja, danke, und Sie?«
    Halt! Jeder hat seinen Platz. Der Patient bin ich.
    Der Patient heißt der Erduldende, und ich brauche tatsächlich eine Menge Geduld, um diese Untätigkeit zu ertragen, die unbequemen Gipse, die stickige Hitze im Zimmer, die fehlende Privatsphäre.
    Kurz, ich fühle mich äußerst reduziert. Mir scheint, in den Augen der Welt bestehe ich nur aus einer zu entleerenden Blase und Blähungen, aus Knochenbrüchen und Schläuchen.
    Ganz zu schweigen von dieser merkwürdigen Art, mit mir zu reden: »Wie geht es uns denn heute?«
    Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu antworten: »Uns geht es gut, wir danken.«
    »Wir« haben einen Namen und einen Vornamen, ja einen ganzen Personenstand, falls es jemanden interessiert.
    Jean-Pierre Fabre, Witwer, kinderlos, Rentner, geboren in Perpignan am 4 . Oktober 1945 , am selben Tag wie die französische Sozialversicherung – was vielleicht meinen ständigen Haushaltsdefizit erklärt –, Vater Robert Fabre, Eisenbahner, geboren am 17 . November 1922 in Marseille, Mutter Odette Augier, ohne Beruf, geboren am 25 . Juni 1924 in Avignon.
    Ich habe einen Sprung im Becken, nicht in der Schüssel.

G leich am Morgen nach meiner Einlieferung hat das Krankenhaus meinen Bruder Hervé benachrichtigt. Nicht weil es darum bemüht war, die Familie zusammenzubringen, nein, aus verwaltungstechnischen Gründen.
    Seinen Namen und seine Telefonnummer haben sie in meiner Brieftasche gefunden, ich staune immer noch darüber.
    Als man mir wie einem Gefängnisinsassen bei guter Führung erlaubt hat, Besuch zu empfangen, nachdem ich eine Woche später von der Intensivstation in die orthopädische Chirurgie verfrachtet worden war, ist er schweißgebadet hier aufgelaufen, kurzatmig wegen seiner Raucherei, des Stresses, der Treppen. Mein Bruder ist einer, der in ewiger Angst lebt. Immer in Sorge um sich selbst, panisch, wenn es um das Wohl der anderen geht.
    Als er mich sah, stöhnte er mit verzweifelter Miene auf: »Ojeeee!«
    Ich antwortete: »Alles in Ordnung …«
    Er schaute mich zweifelnd an, sichtlich nicht sehr optimistisch.
    Das Krankenhaus lässt einen das Leben aus anderen Blickwinkeln betrachten. Aus nicht besonders prickelnden Blickwinkeln, wie Schmerzen, Todeskampf und Tod, die den meisten Leuten eher unangenehm sind. Außer vielleicht Gerichtsmedizinern, die das wahrscheinlich rasend erregend finden und sich diskret in irgendeiner Ecke einen runterholen, wenn sie klammheimlich durch die Intensivstation schleichen.
    Ich zeigte auf den Stuhl.
    Er setzte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann schwiegen wir erst mal, um daraufhin in ein, zwei Sätzen die Umstände des Unfalls abzuhandeln, die mir ja einigermaßen unklar waren, und dann die Dauer meines Aufenthaltes hier, die ich noch nicht absehen konnte.
    Anschließend erzählte er mir, um mich auf andere Gedanken zu bringen, von seinen Eheproblemen.
    Mein Bruder und seine Frau Claudine haben nicht mehr viel gemeinsam. Ein altes Ehepaar, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Er leidet an Geschwüren, weil sie ihm auf den Magen schlägt. Sie hat Kopfschmerzen, weil er ihr auf den Wecker fällt. Außerdem wird sie taub, was sie noch um ihr Lebenselixier bringen wird: die Fernsehserien am Vormittag. Aber dafür wird sie ihn nicht mehr husten und jammern hören. Man muss immer in allen Dingen das Positive sehen.
    Sie erinnern mich an das Paar, das Annie und ich waren, auch wenn ich sie liebte, bevor sie den Abgang machte. Ich kenne das, ich kenne es sehr gut, das Joch des Alltags, das das Gespann zusammenhält, das es daran hindert, sich zu trennen, und vielleicht auch, einander in die Fresse zu hauen.
    Schließlich seufzte Hervé: »Du weißt gar nicht, was du für ein Glück hast, wenigstens hast du deine Ruhe!«
    Er betrachtete mich auf meinem Schmerzensbett, dann fiel ihm wieder ein, dass ich Witwer bin, und merkte plötzlich, was er da gerade gesagt hatte.
    Zur Ablenkung fing er schnell an, von seinem Sohn zu erzählen, der als freiwilliger Helfer in Haiti ist – jedem sein Kreuz –, und von meiner Nichte und ihrem Mann, denen ich zum Glück nicht oft begegnen muss. Dabei
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