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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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habe ich ihnen nicht mal etwas vorzuwerfen. Sie sind höflich, engstirnig, phantasielos. Anständige Leute, wie er. Ich habe von Uropa Jean einen gesunden Widerwillen gegen Familienbande und andere Pflichtschuldigkeiten geerbt. Allerdings – ist es das Alter? Werde ich weich? – kommt mir ihr Sohn, mein Großneffe Jérémy, ganz ausgeschlafen und eher sympathisch vor. Er hat mir gezeigt, wie man raubkopierte Filme herunterlädt, und allein schon deshalb schätze ich ihn.
    Am Ende seines Besuchs habe ich Hervé die Schlüssel zu meiner Wohnung anvertraut.
    »Meinst du, du könntest mir zwei, drei Sachen aus meiner Wohnung holen, solange du in der Gegend bist? Ich hätte vor allem gern mein Notebook, und mein Waschzeug. Und etwas Unterwäsche, wenn’s geht.«
    Er ist ein hilfsbereiter Bursche – er hat mir alles noch am gleichen Abend vorbeigebracht.
    Da er sich nicht traute, sofort wieder abzuhauen, blieb er noch eine Weile, ohne zu wissen, was er sagen oder tun sollte, und betrachtete mit sorgenvollem Blick die ganzen Schläuche, die aus meinem Körper herauskamen, obwohl er sie doch schon am Morgen gezählt hatte.
    »Ich weiß, es sieht aus wie ein Gaswerk«, habe ich gemeint.
    Er nickte stumm. Dann ging er zum Fenster und schaute zu, wie Kranke im Schlafanzug ihre mit Flaschen ungewissen Inhalts behängten Ständer spazieren führten. Er öffnete meinen Wandschrank, verrückte einen Sessel, begutachtete die Größe des Zimmers – »Du hast Schwein, es ist ganz schön groß, aber klar, sind ja auch zwei Betten drin«. Er warf einen Blick ins Bad und pries es mir an, als wolle er es mir verkaufen.
    »Na so was, nicht übel! Waschbecken, Dusche, Klo …«
    »Tja, das ist gerade so Mode in der Bäderwelt«, habe ich gesagt.
    »Äh, tja, ja. Übrigens, apropos Klo, wenn ich schon mal da bin …«
    Danach bemerkte er noch, Krankenhauszimmer seien immer völlig überheizt. Ich antwortete, das sei so vorgesehen, weil die Leute hier – zumindest die Kranken – in der Regel etwas anfällig seien. Das erschien ihm einleuchtend.
    Dann gab es eine Pause.
    Er sagte: »Na, dann …«
    Der Dialog zwischen uns befindet sich, unter uns gesagt, seit langem im Endstadium.
    Um ihn aus der Klemme zu retten, habe ich schließlich gerufen: »Wie blöd, ich habe ganz vergessen, dich zu bitten, mir Bücher mitzubringen!«
    »Ach so … Na ja, dann gehe ich nächste Woche noch mal bei dir vorbei, wenn ich mit Claudine wiederkomme, um dich zu besuchen. Kannst mir eine Liste machen, wenn du ungefähr weißt, was du willst.«
    »Ach, nimm einfach das, was auf meinem Nachttisch liegt, danke.«
    »Na, dann …«
    Wahrscheinlich verfluchte er sich selbst, dass er nicht den Mut hatte, Hals über Kopf davonzurennen. Da ließ ich Gnade walten. Ich tat so, als würde ich verstohlen gähnen, und sagte mit schwacher Stimme: »Nimm’s mir nicht übel, aber ich baue gerade ein bisschen ab. Ich will mal ein Nickerchen machen.«
    Er packte die Gelegenheit beim Schopf: »Na klar doch, du bist müde, das ist ja ganz normal. Also … dann geh ich mal, ja?«
    Wir umarmten uns.
    Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um und schaute mich mit seinem treuen, rauen Bernhardinerblick an.
    »Mannomann … Du bist aber echt ganz schön übel dran!«
    »Es sieht angeblich schlimmer aus, als es ist.«
    »Von wegen, du bist reif für mehrere Monate Krankengymnastik!«
    »Ach, Monate vielleicht nicht …«
    »Machst du Witze? Von so was erholt man sich nicht in drei Wochen wieder! Und schon gar nicht in deinem Alter! Also, dann lass ich dich mal schlafen, du siehst wirklich fertig aus.«
    »Vielen Dank, schön, dass du da warst«, habe ich geantwortet.
     
    Ich mag ihn im Grunde ganz gern, meinen kleinen Bruder. Er meint es gut, das ist sicher.
    Allerdings ist er geradeheraus.

J edes Mal wenn mein Bruder wieder geht, habe ich hinterher ein schlechtes Gewissen und ärgere mich darüber. Ich schätze seine Bemühungen, mir zu helfen. Ich würde dasselbe für ihn tun, und ich weiß, dass er daran nicht zweifelt. Wozu hat man schließlich Familie? Nur ist es so, dass wir uns über unsere vier Jahre Altersabstand hinweg nie wirklich nahegekommen sind.
    Abgesehen von unseren Eltern haben wir nichts gemeinsam.
    Ich war in der letzten Grundschulklasse, als er mit seinen blutverkrusteten Knien, blauen Flecken und mageren Oberschenkeln in zu weiten kurzen Hosen eingeschult wurde. Ich kam in die Oberstufe, als er in die Mittelschule kam.
    Für mich war
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