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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Worte schienen von sehr weit her zu kommen, seine Stimme war komisch, viel zu langsam.
    Schließlich drangen ein paar Fetzen zu mir durch: »Haben Sie vielleicht eine Ahnung, was Ihnen passiert ist? Wir treten nämlich mit unserer Untersuchung im Moment auf der Stelle …«
    Mit einem Blick auf die Sauerstoffmaske fügte er noch hinzu: »Antworten Sie mit Ja oder Nein, das wird vorerst genügen. Können Sie sich erinnern, was passiert ist?«
    Ich drehte den Kopf leicht hin und her, nur eine Spur, aber genug, dass sich die Zimmerdecke drehte und die Matratze schwankte. Tut mir leid. Keine Ahnung, wie ich hierhergeraten bin.
    Er stellte mir eine weitere Frage, die eine Weile brauchte, bis sie bei mir ankam. Bevor mir die Augen wieder zufielen, schüttelte ich noch einmal den Kopf. Nein: Ich hatte nicht versucht, mir das Leben zu nehmen.
    Ich bin nicht selbstmordgefährdet.
    Das erledigt sich mit der Zeit von selbst.

N ach meinen letzten Schätzungen bin ich seit acht Tagen hier. Die Zeit ist verflogen wie nichts.
    Aber lang war sie doch.
    Tagsüber schlafe ich zu viel, nachts sehr schlecht, ich bin benommen von diversen Drogen, von der Untätigkeit, alles verschwimmt zu einer einzigen grauen Sauce, Montag, Dienstag, Mittwoch. Ich erinnere mich nicht, wie ich im Wasser gelandet bin, da ist nichts zu machen. Genauso wenig erinnere ich mich daran, wie man mich herausgefischt hat oder wie ich hierhergekommen bin.
    Es heißt, man habe mich sediert, weil ich unruhig und verwirrt war.
    Nicht verwirrt im Sinne von erstaunt, ich bin nie erstaunt, wenn mir komische Sachen passieren.
    Nein,
verwirrt
, also durcheinander, verstört.
    Man hat mich in einen Zustand versetzt, in dem ich außerstande war zu denken, mich zu bewegen, mir zu schaden und die Arbeit des Pflegepersonals zu behindern. Der Vorteil dabei: Ich habe ein paar Tage in einer Art dichtem Nebel verbracht – der Rausch des Jahrhunderts –, mit dem Gefühl, alle fünf Minuten aufzuwachen und dazwischen jedes Mal für zehn Stunden einzuschlafen, das Ganze ohne zu große Schmerzen.
    Jetzt fühle ich mich viel lädierter. Alles tut weh.
    Und wenn es mal nicht mehr wehtut, habe ich trotzdem das Gefühl, ein einziger Muskelkater zu
sein.
    Man hat mich hier und da aufgeschnitten, um ein paar Brüche zu richten, und mich wieder zusammengeflickt. Ich bin voller Drähte, Platten und Schrauben, der reinste Eisenwarenladen. Meine Identität besteht aus dem Haufen Röntgenaufnahmen, den die Ärzte mit zufriedener Miene studieren, allen voran mein Chirurg: Darmbeinstachel, Darmbeinschaufel, Schambein, Oberschenkelhals, Oberschenkelknochen, Schienbein und Wadenbein.
    Bewegen kommt nicht in Frage, das ist strengstens verboten.
    Normalerweise drehe ich mich ewig von einer Seite auf die andere, um in den Schlaf zu finden, und jetzt bin ich zum Stillliegen verurteilt, zu allem Übel auch noch auf dem Rücken.
    Da ziehen sich die Nächte in die Länge wie früher die Schulstunden.
     
    Ich lerne das Krankenhausleben kennen. Man hatte mir davon erzählt, jetzt erlebe ich es selbst.
    Kaum ist man hier drin, möchte man am liebsten sofort wieder nach Hause, wie die Hunde, die an der Leine zerren, um kehrtzumachen, sobald sie beim Tierarzt ankommen. Ich fühle mich wie ein Köter, geduckt und mit glanzlosem Fell. Ich will meinen Fressnapf, meine Decke, meinen Kauknochen, mein Körbchen.
    Ich will nach Hause.
    Außerdem kann ich die Krankenhausgerüche nicht ertragen.
    Es riecht nicht sauber, sondern nach Desinfektionslösung, nach heuchlerisch parfümierten Putzmitteln, um den Gestank von Eiter, Inkontinenzen aller Art und anderen Scheußlichkeiten zu überdecken.
    Es riecht nicht nach Küche, nach vor sich hin köchelnden Eintöpfen, sondern nach Kantinenfraß. Nicht einmal der Kaffee riecht so, wie er soll. Seine Dünste drücken sich die Wände entlang wie Verräter im Schatten, dringen durch die Flure bis in die Zimmer vor, nicht klar, nicht ehrlich, voller Heimtücke. Und in der Tasse bekennt er dann eindeutig seine Schwäche, ein verwässertes Schwarz, eine undefinierbare Brühe, aufgewärmt, enttäuschend.
    Und in Sachen Kräutertee keinerlei Auswahl: nur die grässliche Kamille.
     
    Die Tage beginnen früh, um sechs Uhr morgens, was einem danach reichlich Zeit lässt, Trübsal zu blasen. Die Krankenschwester vom Frühdienst reißt die Tür auf, etwa so, wie ein Cowboy einen Saloon betritt, knipst die grelle Deckenbeleuchtung an, ruft mit einer Stimme, die für meine
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