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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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schläfrigen Ohren viel zu laut ist, »Guten Mooorgen!« und misst mir dann, ohne abzuwarten, ob ich auch wach bin (aber danke, ich bin es), den Blutdruck und die Temperatur.
    Ich bekomme zwei weiße Tabletten verabreicht, von denen mir weder Name noch Wirkung bekannt sind, dann füllt sie die Kurve am Fußende meines Betts aus, löscht endlich die gleißende Neonleuchte und geht wieder – ohne die Tür hinter sich zu schließen –, wobei sie mir ohne jede Ironie noch einen schönen Tag wünscht.
    Dann kommt eine der stets gutgelaunten Stationshelferinnen und bringt das Frühstück: zwei eingeschweißte Scheiben Zwieback, ein blässliches Kompott, eine Portionspackung Marmelade, die in ihrem Leben nicht vielen Früchten begegnet sein dürfte, und ein Naturjoghurt.
    Und unweigerlich, auch wenn sie mich schon am vorigen und vorvorigen Tag gesehen hat, fragt sie: »Was möchten wir denn heute Morgen gern?«
    Raus hier, Herrgott, nichts wie raus!
    »Kaffee, Tee, Milch?«
    Sie zieht die Jalousien hoch, klopft mein Kopfkissen auf, stellt das Tablett etwas zu weit weg ab, sodass ich zu schmerzhaften, von meinem Chirurgen verbotenen Verrenkungen gezwungen bin, um dranzukommen.
     
    Dann fängt der Tag an, mit seinen zehnmal so vielen Stunden, wie sie Tage draußen haben. Die offene Tür erlaubt es mir, die Leute vorbeigehen zu sehen, worauf ich verzichten könnte, und erlaubt es ihnen, mich ebenfalls zu sehen, was mich rasend macht.
    Das Fernsehen habe ich aufgegeben. Ich glaube, die Programme werden an höherer Stelle eigens mit dem Ziel gestaltet, Krankenhausbetten frei werden zu lassen und das Problem der zu langen Rentenzeiten zu regeln. All die hochspannenden europäischen Krimiserien, die mitreißenden Quizsendungen und die Live-Mitschnitte aus der Nationalversammlung sollen wohl alten Leuten wirksam den Rest geben und Kranke dazu treiben, sich den Tropf herauszureißen.
    Ich sehe mir nur die Nachrichten an, die sich immer so schön auf die guten Neuigkeiten konzentrieren – Krieg, Umweltverschmutzung, Tsunamis, arme Alte, die von jungen Rowdys überfallen werden, kindliche Depression und Lungenkrebs bei Rauchern – wirklich löblich, wie sie sich um positives Denken bemühen.
    Oder ich ziehe mir abends mal einen Film rein, aber selten.
    Die ganze übrige Zeit habe ich Zeit übrig. Was zur Folge hat, dass ich denke.
    Denken ist eine ungesunde Beschäftigung, die ich in der Regel lieber vermeide. Zumal meine Gedanken hier, mangels anderer Aussichten, um meinen Bauchnabel kreisen, etwa so wie ein durchgeknallter Hamster in seinem Rädchen herumrast. Ich, ich,
ich
, mein Leben, mein Werk.
    Zurückgelegte Wegstrecke, Laufbahn, Bestandsaufnahme.
    Bilanz. Bei dem bloßen Wort kommt mir das Kotzen.
    »Bilanz«, das riecht nach buchmäßigem Bankrott.
     
    Mittagessen gibt es um halb zwölf, Abendessen um zwanzig nach sechs.
    Da mein Zimmer am Ende des Flurs liegt, esse ich lauwarm oder kalt, je nach Schnelligkeit oder Beinlänge der Stationshelferin. Die meisten von ihnen kommen aus Madagaskar, was einen Gewinn an Freundlichkeit, aber einen Verlust an Kalorien bedeutet.
     
    Vor ein paar Tagen habe ich eine der Krankenschwestern gefragt, warum man nicht alle Mahlzeiten um ein oder zwei Stunden verschieben könne. Sie erklärte mir, das sei so, weil die Nachtschicht sich vor der Übergabe noch um das Frühstück kümmert, und »wenn man das verschieben würde, würde sich alles verschieben«. Ich habe geantwortet, sicher, aber in dem Fall könnte doch die Nachtschicht das Abendessen übernehmen, für das bisher die Tagschicht zuständig sei, die sich dann ihrerseits ums Frühstück kümmern würde – und wenn meine Berechnungen richtig seien, bliebe die Arbeitsbelastung letztlich für alle gleich.
    Als Antwort steckte sie mir nur das Thermometer ins Ohr – übrigens eine gewöhnungsbedürftige Methode.

A uf der Station heiße ich »der Mann aus der Seine«.
    An dem Tag muss sonst nicht viel passiert sein, denn in den Lokalblättern war ein bisschen von mir die Rede.
    Mehr hat es nicht gebraucht, um mir eine geheimnisvolle Aura zu verschaffen, die ich mühsam aufrechtzuerhalten versuche, aber das ist gar nicht so einfach. Ich finde es ziemlich verdienstvoll von mir, ein Rätsel bleiben zu wollen, während ich dazu verdammt bin, mir den Hintern abwischen zu lassen wie ein Riesenbaby, und die gesamte Ärzteschaft, ganz gleich welchen Ranges und Faches, von mir wissen will, ob ich auch ordentlich pisse – und so
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