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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Glück.

D as Schöne am Krankenhaus ist dieser totale Respekt vor der Privatsphäre.
    Schon hundert Mal habe ich die Stationshelferinnen, Krankenschwestern und Reinigungskräfte gebeten, die Tür zu schließen, wenn sie aus meinem Zimmer gehen. Wenn ich wach bin, habe ich keinerlei Schwierigkeiten, das durchzusetzen: Ich habe die Stimme meines Vaters geerbt. Aber wenn ich das Pech habe einzuschlafen, finde ich mich unweigerlich mit offen stehender Tür wieder – sperrangelweit, halb oder zu einem Drittel offen, je nach Faulheit dessen, der als Letzter hinausgegangen ist, oder je nach dem Grad seiner Feindseligkeit mir gegenüber.
    Die Leute bleiben aber im Großen und Ganzen eher diskret. Sie werfen nur einen mechanischen Blick hinein, und wenn sie mich auf meinem Schmerzensbett sehen, wie ich auf meinem Computer herumtippe, mit offenem Mund schnarche oder freudlos eine geschmackfreie Mahlzeit verzehre, wenden sie sich aus Taktgefühl sofort wieder ab. Sie ignorieren mich gnädig.
    Nur die Rotzgöre nicht.
    Ein unfrisiertes Pummelchen, vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre alt – mit pickeligen Jugendlichen kenne ich mich nicht so aus. Seit meiner Verlegung in die orthopädische Chirurgie habe ich das Gefühl, ich sehe sie mindestens zehn Mal am Tag. Sie schaut mich jedes Mal komisch an. Ich frage mich, was sie wohl auf dieser Station verloren hat. Weder Gips noch Krücken oder Rollator. Nicht der kleinste Arm in der Schlinge, nicht das geringste Hinkebein. Nur ein beträchtliches Übergewicht, das ihren Bulldoggencharme so richtig zur Geltung bringt.
    Wie gewohnt finde ich mich auch heute wieder den Blicken all derer ausgesetzt, die auf der Station herumlaufen. Und da kommt sie auch schon um die Ecke. Sie wird langsamer. Sie begafft mich. Sie lässt sich Zeit.
    Wenn ich meinen Impulsen nachgeben würde, würde ich jetzt das Laken hochreißen, um ihr meine Klöten zu zeigen statt meines Hinterns, da ich ja nun mal zur Rückenlage verdammt bin. Nur hätte ich angesichts ihres jungen Alters Angst vor Fehldeutungen. Pädophilie ist nicht mein Ding. Ganz abgesehen von ästhetischen Erwägungen: Wegen Harnröhrenquetschung hat man mir das Gemächt intubiert, wodurch es zusammen mit dem angeschwollenen Klingelbeutel aussieht, als hätte man mir einen Dudelsack transplantiert.
    Ihr mein ganzes Gerät zu zeigen wäre ohnehin nur eine bildhafte Art gewesen, sie wissenzulassen, dass sie mir auf den Senkel geht, wenn sie ständig so in mein Zimmer glotzt, wo ich frisch eingegipst und ans Bett genagelt daliege.
    Vielleicht fehlt es ihr ja an Abwechslung, das kann ich verstehen, aber ich bin kein ehrenamtlicher Alleinunterhalter, ich will einfach nur meine Ruhe.

A ls kinderloser Witwer hat man den Vorteil, dass man nicht von Besuchern überrannt wird.
    Aber es geht hier trotzdem zu wie in einem Taubenschlag. Genau genommen habe ich seit Jahren nicht mehr so viele Leute gesehen. Lauter Menschen, die sich um mich sorgen. Krankenschwestern, Pflegehelferinnen, Ärzte aller Art und – Gott der Götter in diesem Weißkittelolymp – mein Chirurg, der mir von allen der Liebste ist.
     
    Er ist ein kleiner Feldwebel-Typ mit kalten Augen, der in meine Akte schaut, während er mit mir redet, und die Krankenschwestern nervös macht wie eine Büchse Würmer.
    Er spricht präzise, prägnant. Wahrscheinlich aus Gewohnheit, Überflüssiges wegzuschneiden: Er kommt direkt aufs Wesentliche. Und auch dabei fasst er sich noch kurz. Er verwendet nur einfache Sätze: Subjekt-Prädikat-Objekt. Gleich bei seiner ersten Visite hat er mir mit unglaublich gelangweilter Miene meine Mängelliste vorgetragen.
    Beckenfraktur: stabil.
    Frakturen an Schienbein und Wadenbein reponiert: eine Platte hier, zwei Nagelungen dort.
    Ich kam mir ein bisschen vor wie ein Pferd, dem ein Hufschmied etwas über seine Eisen erzählt.
    Dann erklärte er mir mit einem gezwungenen Lächeln, ich hätte letztlich doch keine Arthrodese gebraucht. Er wirkte darüber derartig verdrossen, dass ich mich nicht traute zu fragen, was das ist. Ich lächelte nur bekümmert und nahm mir vor, es zu googeln, sobald er aus der Tür war. Es handelt sich um einen Eingriff,
der darin besteht, ein Gelenk endgültig zu versteifen
. Tut mir echt leid, dass ich ihn enttäuscht habe.
    Seitdem sehe ich ihn jeden Dienstag und Donnerstag am späten Vormittag.
    Die letzten Neuigkeiten von heute Morgen lauten, wenn ich recht verstanden habe:
    Es geht mir sehr gut – es ist alles in Ordnung – er
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