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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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meinem Bett sitzt. Vielleicht färbt ja ihre Schwärmerei für ihn etwas auf mich ab, und ich kann ein paar kleine Vorteile daraus schlagen. Klar, dass sie ihn niedlich finden, den Jüngling mit dem melancholischen Gesichtsausdruck. Kaum ist er bei mir im Zimmer, sehe ich sie vor meiner Tür hin und her scharwenzeln und harmlos dreinschauen. Ich bin mir sicher, wenn er wieder geht, folgen sie ihm wie ein Schwarm Bienen bis ans Ende des Flurs.
    Ist schon klar, dass ich, der ich wie ein von Kopf bis Fuß eingesponnener alter Seidenraupenkokon auf dem Bett liege, bei ihnen keine solchen Reaktionen auslöse.
    Aber egal, auch wenn seine Besuche mir nur ein Viertelchen Rotwein zusätzlich einbringen sollten, wäre das doch immerhin etwas. Mehr erwarte ich gar nicht, ich bin Realist.
    Hoffnung ist etwas für Träumer und Jugendliche. Ich habe Erinnerungen.
    In meinem Alter ist das sicherer, als Pläne zu schmieden.
     
    Kurz und gut, heute Morgen blitzen seine Augen jedenfalls.
    »Herr Fabre, ich habe Neuigkeiten!«
    »Ich bin ganz Ohr, junger Freund.«
    Ich nenne ihn gern so. Am Anfang irritierte ihn das, aber jetzt scheint es ihm seltsamerweise zu gefallen.
    Er zieht den Stuhl an mein Bett, setzt sich, beugt sich ein bisschen vor und schaut mir eindringlich in die Augen. Er schickt sich wohl an, mir einen Schock zu versetzen, und versucht mich mit seinen großen dunklen Augen vorzuwarnen.
    Ich bin höflich und zeige Interesse: »Dann schießen Sie mal los.«
    »Den Ermittlungen zufolge war es ein Unfall.«
    Er richtet sich auf und wartet die Wirkung seiner Worte ab.
    Da ich das offensichtlich schon ein bisschen geahnt habe, schaut er enttäuscht drein und fügt hinzu: »Verursacht von einem Verkehrsrowdy.«
    »…«
    »Mit Fahrerflucht!«
    Er tut alles, um seinen Kunden zufriedenzustellen, das kann ich sehen. Ich erbarme mich und hebe eine Augenbraue: »Wissen Sie Näheres?«
    Sein Gesicht hellt sich auf, und es sprudelt aus ihm heraus: »Ja, eben, genau: Die gesicherten Spuren deuten darauf hin, dass Sie von einem Fahrzeug gerammt worden sind, dessen Fahrer die Kontrolle darüber verloren hat.«
    Ich dachte mir schon, dass es keine Abrechnung war: Die einzigen Mafiosi, die ich regelmäßig sehe, sind die aus dem
Paten
oder aus
Donnie Brasco
.
    Er zieht sein
Star Wars
-Notizbuch hervor und kritzelt schnell etwas hinein, wobei er zwischen zwei gemurmelten Kommentaren nervös auf den Lippen herumkaut.
    »So, also … das da ist die Brücke … Sie müssen auf dem Gehweg gewesen sein … Ich würde sagen, hmmm … etwa … hier! Sehen Sie?«
    Man sieht, dass er das gern macht, Pläne zeichnen, Schnittdarstellungen, perspektivische Abbildungen mit lauter Pfeilen und Kreuzchen. Er hat bestimmt davon geträumt, Architekt zu werden, aber sein Vater war Beamter. Solche Dramen spielen sich tagtäglich ab.
    »Also, deshalb denken wir – das heißt, wir
vermuten
 –, dass Sie über das Geländer geschleudert worden sind, ähm, sagen wir, etwa in diesem Winkel … sooo … da!«
    »Donnerwetter!«
    »Mhm. Der Aufprall muss extrem heftig gewesen sein, nach Ihren Brüchen zu schließen.«
    »Wenn ich recht verstehe, grenzt es also an ein Wunder, dass ich noch da bin …«
    Er nickt.
    »Das kann man wohl sagen! Und noch dazu bei der Uhrzeit … Um fünf Uhr morgens sind um diese Jahreszeit nicht viele Leute unterwegs, nicht? Waren Sie denn auf dem Heimweg von Freunden?«
    »Das würde mich wundern, ich habe keine.«
    Er wirft mir einen mitfühlenden Blick zu, hüstelt, lächelt peinlich berührt und wechselt das Thema.
    »Wie auch immer, jedenfalls wären Sie ohne diese Person unter der Brücke nicht mehr am Leben …«
    Die »Person« ist der junge Prostituierte, der mich aus der Seine gefischt hat. Er hat gesehen, wie ich im Wasser gelandet bin. Da er nicht schwimmen kann, ich aber ganz in der Nähe des Ufers einen Bauchklatscher gemacht hatte, ist es ihm gelungen, mich mit einem Bootshaken zu angeln und zu sich heranzuziehen. Die Leute von der Müllabfuhr, die am anderen Ufer die Tonnen leerten, haben den Rettungsdienst gerufen. Der junge Mann hat mir den Kopf aus dem Wasser gehalten, bis der Krankenwagen kam.
    Die Ärzte haben mir gesagt, wenn er versucht hätte, mich auf den Kai zu ziehen, hätte er mir das Becken vollends ruiniert.
    Durch Zufall gerammt, in die Seine gestürzt, von einem Strichjungen und Müllmännern gerettet.
    Ich werde es nicht müde, immer wieder zu denken: Mein Schicksal ist doch ein wahres
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