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Das Leben ist ein Kitschroman

Das Leben ist ein Kitschroman

Titel: Das Leben ist ein Kitschroman
Autoren: Sophie Benning
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dieser Zeitspanne um etwa zehn Minuten handelte, beschloss ich, in der Zeit das Tarot zurate zu ziehen und wählte zu der Frage »Was wird mir die Zukunft bringen?« eine Karte aus dem Bildschirmblatt aus.
    Es war der Turm. Die Darstellung auf dieser Karte hatte mir schon immer Respekt eingeflößt: Flammen traten aus den Fenstern, Blitze fuhren vom Himmel und eine Goldkrone fiel von der Turmspitze. Als würde das nicht reichen, stürzten auch noch zwei schreiende Gestalten in die Tiefe.
    Die nächste Zeit verspricht einige Turbulenzen. Es ist nicht ersichtlich, ob ein freudiges Ereignis zu erwarten ist oder ob es eher etwas Unangenehmes sein wird. Es besteht ebenfalls die Gefahr, dass der heutige Tag einen Verlust mit sich bringt. Dann sollten Sie sich nicht kränken, denn es könnte eine Befreiung von altem Ballast bedeuten. Immerhin zeigt die Karte einen Ausbruch aus Beschränkung und Enge und steht für das schonungslose Erkennen der Wirklichkeit.
    Du meine Güte, eine Glücksprognose klang anders. Das musste sogar ich, die Olympiahoffnung im Vernünftigsein zugeben. Bevor ich weiter über das dräuende Unheil nachdenken konnte, steckte Heidi Bauer den Kopf durch die Tür und verkündete, dass sie nun alle fehlenden Informationen zusammenhätte. Ich glaubte ihr kein Wort, war aber froh, dass sie verschwand. Endlich konnte ich in Ruhe frühstücken.
    Ich hatte mir gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt und ein Brot gemacht, als das Telefon klingelte.
    »Ja bitte?«
    »Weiß am Apparat, Frau Bruckmann. Gut, dass ich Sie gleich erreiche, denn ich habe leider eine unangenehme Mitteilung für Sie.« Der Makler ratterte den Satz so atemlos in den Hörer, dass ich mich automatisch gerade hinsetzte und mich auf das Schlimmste gefasst machte.
    »Ist das Bad immer noch eine Baustelle?«
    »Das ist unser geringstes Problem, Frau Bruckmann.« Ich hörte ihn mit den Zähnen knirschen. »Tatsache ist, dass es im Haus gebrannt hat. Es kann Monate dauern, bis die Wohnung wieder so weit hergestellt ist, dass Sie einziehen können.«
    Jetzt war ich reif für eine Pause. Was faselte der Typ? Monate? Diese Tarotkarte hatte Turbulenzen vorhergesagt, aber das hier klang nach Supergau!
    »Natürlich werden wir uns sofort um eine Übergangslösung kümmern«, plapperte Herr Weiß weiter. »Und Sie bekommen selbstverständlich alle Kosten, die entstehen, ersetzt. Wir sind schon mit einem guten Hotel im Gespräch und dort...«
    »Wer sagt denn, dass ich in ein Hotel ziehen will?«, rief ich. »Und was soll ich in der Zwischenzeit mit meinen Möbeln machen?« Jetzt wusste ich, wie es sich anfühlt, wenn man aus einem Turmfenster fliegt.
    »Bitte beruhigen Sie sich, Frau Bruckmann«, quietschte der Makler. »Ihre Möbel werden von uns zwischengelagert, und ich bin mir sicher, dass wir eine für sämtliche Beteiligten zufriedenstellende Lösung finden werden. Ich rufe Sie sofort an, wenn ich Neuigkeiten habe.«
    Im nächsten Moment erklang das Freizeichen und ich starrte fassungslos auf mein Telefon.
    Ich muss eine ganze Weile so dagesessen haben, denn als ich einen Schluck Kaffee trinken wollte, war der kalt.
    Ich stand auf, um neuen zu kochen. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine schossen mir sofort wirre Satzfetzen durch den Kopf.
    Verdammt – IKEA kannst du dir sparen – Du bist obdachlos – Wenn deine Eltern Wind von der Sache bekommen, werden sie darauf bestehen, dass du solange zu ihnen ziehst – Du wirst in einer üblen Bruchbude landen.
    »Scheiße!« Ich schlug mit beiden Händen auf die Anrichte. »Verdammte Ka-cke!«
    Ich ließ frischen, heißen Kaffee in die Tasse laufen und setzte mich wieder an den Tisch.
    Vor meinem inneren Auge lief eine Diashow ab mit Aufnahmen der schäbigsten Hotelzimmer dieser Welt: Verdreckte Bäder mit verschimmelten Duschvorhängen, Kakerlaken im Abfluss, löchrige Laken, Polyester-Zudecken auf durchgelegenen Betten und fleckige Teppichböden, auf denen bereits Generationen von Kettenrauchern ihre Kippen ausgedrückt hatten.
    Ich holte tief Luft.
    »Ganz ruhig, Charli. Noch hast du ein Dach über dem Kopf und genug Zeit, eine Lösung zu finden«, brabbelte ich vor mich hin, aber dieses Mantra beruhigte mich kein bisschen.
    Ausbruch aus Beschränkung und Enge, schön und gut, aber könnte ich vielleicht erst mal die Demoversion testen? Und wer behauptete hier eigentlich, dass ich scharf darauf war, die Wirklichkeit derart schonungslos zu erkennen. Hm?
    Keiner.
    Eben.
    Nach einem weiteren Kaffee entschied
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