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Das Leben ist ein Kitschroman

Das Leben ist ein Kitschroman

Titel: Das Leben ist ein Kitschroman
Autoren: Sophie Benning
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entdeckt. Meine Eltern nahmen meine Schwester und mich damals regelmäßig zu Städtetouren mit und wir besuchten alle möglichen Museen. Sie waren der Meinung, dass das unverzichtbar für unsere Allgemeinbildung war und ich ließ mich nur zu gerne in diese fremden Welten entführen. Am liebsten besuchte ich Völkerkundemuseen und stellte mir vor, dass ich auf großer Expedition war und mich nach einer grausamen Schlacht mit Eingeborenen als einzige Überlebende mutterseelenallein durchschlagen musste. Abends setzte ich mich hin und schrieb die Abenteuer, die ich nachmittags erlebt hatte, auf.
    »Du und deine blühende Fantasie«, hieß es immer, wenn meine Eltern eine meiner Geschichten in die Finger bekamen, was ich tunlichst zu vermeiden versuchte, indem ich meine Hefte versteckte. Solange ich klein war, schwang durchaus noch ein wenig widerwillige Anerkennung in diesem Satz mit, aber je älter ich wurde, desto mehr klang es wie ein Vorwurf.
    In unserer Familie ist Fantasie nichts Erstrebenswertes. Wichtig sind Zahlen, Bilanzen und Paragrafen. Mit Luftschlössern kann bei uns niemand etwas anfangen.
    Während der Prüfungen hatte ich zum ersten Mal seit Jahren wieder kleine Geschichten in mein Heft gekritzelt. Aber dabei hörte ich auch sofort die Stimme meiner Mutter: »Der Quatsch lenkt dich nur von deinen Zielen ab!«
    Und nach dieser mentalen Durchsage hatte ich mein Schreibheft sofort weggelegt und weitergebüffelt.
    Denn neben Ständiges Zuspätkommen war Vernünftigsein eine Disziplin, in der ich Olympiagold holen würde. Sollte das zuständige Komitee sich jemals dazu durchringen, diese Eigenschaft als Sportart anzuerkennen. Und wahrscheinlich hatte meine Mutter sogar recht. Ich war total unbegabt und ich hätte meine komischen kleinen Geschichten auch niemals jemandem gezeigt.
    Daher beschloss ich auch jetzt, die Grübeleien zu vertagen. Erstens wartete man unten auf mich und zweitens hatte ich Hunger.
    Für Besucher-Überraschungen dieser Art hingen ein paar Klamotten im Schrank meines früheren Zimmers. Während ich noch überlegte, was für den heutigen Anlass Abendessen mit zukünftigem Chef + x angemessen wäre, bemerkte ich, dass meine Mutter bereits ein dunkelblaues Seidenkleid samt passenden Strümpfen und Ballerinas auf dem Bett bereitgelegt hatte.
    Plötzlich wurde mir alles zu viel. Ich hatte keine Lust auf ein steifes Abendessen und höfliche Konversation.
    – Wen haben Sie letztes Jahr auf den Bermudas getroffen, Herr Dr. Krause? Ach, das ist aber interessant!
    Anstatt mich umzuziehen, ließ ich mich auf das Bett fallen und vergrub das Gesicht zwischen den ordentlich aufgereihten Zierkissen.
    »Charlotte? Wo bleibst du denn?« Die genervte Stimme meiner Mutter holte mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Ich komme!«, rief ich lustlos, zog mich aber doch in Windeseile um.
    Ich stopfte meine Klamotten samt Schuhen in meine überdimensionale Handtasche, zog mir selbst im Spiegel eine Grimasse und rannte die Treppe hinunter.
    »Da ist ja endlich unsere liebe Tochter!«, rief mein Vater mit leicht vorwurfsvollem Ton, als ich die Terrasse hinter dem Haus betrat. Aber ich spürte seinen Stolz, als er mich auf meinen zukünftigen Chef zuschob, der mit einem strahlenden Lächeln auf mich zukam.
    »Charlotte! Sie werden von Mal zu Mal hübscher!«
    Von ihm selbst konnte man das nicht behaupten.
    Helmut Krause hatte ein karottenrotes, sommersprossiges Gesicht und eine spiegelnde Halbglatze. Die fehlenden Haare wuchsen ihm dafür reichlich aus Ohren und Nase und mit seinen Augenbrauen hätte er Möbel abstauben können. Er fand sich aber vielleicht gerade deswegen unwiderstehlich, denn Frauen gegenüber hatte er ein Selbstbewusstsein wie James Bond.
    Nun schüttelte er mir mit seinen verschwitzten Wurstfingern auch noch die Hand, die ich ihm so schnell wie möglich wieder entzog.
    »Liebe Charlotte«, sagte er gönnerhaft. »Da Sie ja bald bei uns anfangen, möchte ich Ihnen heute Abend jemanden vorstellen.«
    Als hätte dieser Jemand nur auf sein Stichwort gewartet, erschien ein großer breitschultriger Mann Mitte dreißig, der mir ein strahlendes Zahnpastalächeln schenkte. Er entsprach zwar nicht ganz meinem gängigen Beuteschema, sah aber mit seinen blonden Haaren und den verträumten blauen Augen durchaus attraktiv aus. Ob der mich einarbeiten würde? Ich spürte bereits, wie er sich von hinten über mich beugte, um mir die Feinheiten der krauseschen Unternehmensberatung näherzubringen. Seine
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