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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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jedoch die Glanzbilder des Mönchtums und auch die Schreckensfilme über Mönche und Nonnen vergessen. Sie bekommen keine Schatzkisten zu sehen und auch keine florierenden Wirtschaftsbetriebe. Wir sind auch nicht in großer Zahl an einem Ort anzutreffen. Kunstvolle Gesänge haben wir nicht zu bieten. Unsere Gottesdienste sind einfach. Die Architektur ist eher zweckbestimmt. Wir sind nicht erpicht auf aufwendige Ästhetik. Wir legen Wert auf ein schlichtes Miteinander.
    Ein Mysterienspiel aus der franziskanischen Frühzeit spielt mit der Erwartung, die Brüder, obwohl der Armut verpflichtet, müssten doch auch ein «ordentliches» Kloster haben: «Eine Dame namens Herrin Armut besucht die Brüder und trifft sie auf einem Hügel an. Sie fragt nach dem Kloster der Brüder. Diese zeigen auf die umliegende Ebene mit den Worten: Das ist unser Kloster, Herrin!» Eine schöne Geschichte, aus der wir den Slogan entwickelt haben: «Unser Kloster ist die Welt.» Es kommt uns nicht darauf an, in Bauten und Ländereien Schutz zu suchen. Unser Schutz ist das Vertrauen auf die Gegenwart Gottes, der für das Heute sorgt. «Macht euch keine Sorgen» . (Mt 6,31), so heißt es im Evangelium. Dieses Kloster hier kann und will sich nicht selbst versorgen. Es ist angewiesen auf das, was die Leute bringen: Brot, Gartenerträge, Farbe, Zeit zur freiwilligen Mitarbeit und auch Geld. Das ist das Geheimnis der Stärke des franziskanischen Lebens: Wir haben eine Lebensform gewählt, die auf Unterstützung ausgerichtet ist. Wir brauchen unsere Nachbarn. Wir sind von unseren Mitmenschen abhängig. Und wir sagen es ihnen auch. Wir sind nicht an der Tankstelle zu finden, um dort für viel zu viel Geld ein Stück Butter und ein Brot zu kaufen. Wir klingeln lieber beim Nachbarn und bitten ihn, uns fürs Abendessen auszuhelfen. Probieren Sie es aus. Sie werden feststellen: Bitten ist am Anfang schwer. Sie sind darauf geeicht, immer als stark und satt und erfüllt und wohlhabend zu gelten. Suchen Sie sich ein Detail, wo Sie wirklich Hilfe brauchen: beim Einrichten Ihres Computers, beim Kochen einer neuen Gemüsesorte, im Büro, wo Sie im Moment nicht wissen, wie es weitergehen soll. Wer heute fragt und nicht vom Morgen eine Lösung erwartet, knüpft an andre Bande der Brüderlichkeit an. Franziskus von Assisi hat aus der Bibel aufgenommen, dass Jesus selbstnichts besaß und nicht sesshaft war. So wollte auch er sich ganz auf Gott und seine Mitmenschen verlassen – und so sollten es auch die Brüder tun. Sie sollten so beispielhaft zeigen, dass alle Menschen voneinander abhängig sind. Dass keiner ohne den anderen leben kann. Und dass keiner ohne Gott existieren kann.
    Darum nennen die Kapuziner ihr Kloster auch lieber Niederlassung. Die Brüder bewohnen es nicht dauerhaft. Sie werden in der Regel alle sechs Jahre an einen neuen Ort gerufen. Meistens wird diese Pflicht intensiv diskutiert. Jeder Bruder weiß, dass Unterwegssein und Wechsel der Standorte zu seinem Lebensprofil gehören.
    Darin steht ein Ordensmann den Zeitgenossen sehr nah. Unsere Pendlergesellschaft verbringt ein großes Kontingent ihrer Zeit in Auto, Bus, Bahn oder Flugzeug. Man ist im Unterwegssein daheim. Von einem Ziel zum anderen, immer in der Angst, man könne etwas verpassen. Denn wenn irgendwann einmal nichts mehr kommt, muss schon vorher möglichst viel, wenn nicht sogar alles erlebt werden. Deswegen kann sich keiner mehr wirklich irgendwo niederlassen. Wir müssen überall und wir müssen alles sein können. Versetzbar. Einsetzbar. Austauschbar. Der Kommunismus bezeichnet es als Disponibilität, der Kapitalismus nennt es Flexibilität. Jeder hat das Gefühl, bei allem mitreden können zu müssen. Oder mitchatten. Jeder muss in möglichst vielen Dingen Erfahrungen sammeln. Lieber acht oberflächliche Siebenwochenpraktika als zwei tiefgründige Lehrphasen praktischer Ausbildung. Masse statt Klasse. Und vor allem immer jung sein, stets im Frühling, und wenn es der vierte ist. Bloß nicht ans Ende denken. Denn da kommt ja nichts mehr. Darum müssen wir jetzt alles mitbekommen. Es gibt nur ein Leben vor dem Sterben. Oder, um es mit demApostel Paulus biblisch-drastisch zu sagen: «Lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot» . (1.   Kor 15,32).
    Wer so denkt, muss möglichst viel Leben ins Leben packen. Und weil man nicht weiß, ob das, was man hat, schon das Beste ist, strebt man weiter und weiter. Genießen kann man deshalb nichts, weil man nicht weiß, ob nicht
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