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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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noch etwas kommt, was man noch mehr genießen müsste. Also lebt man lieber mit halber Kraft.
    Das Ende vom Lied: Wir werden immer untröstlicher, je mehr wir einsehen, dass wir nicht alles schaffen werden, was Menschen erleben, lieben, aufbauen oder lesen können. Keiner erreicht es, alles zu erleben, was möglich wäre. Wir können nicht überall zugleich und gleich intensiv sein. Dennoch gehen wir mannhaft in einen Kampf, in dem die Frauen den Männern in nichts nachstehen: Urlaubsstress und Internetmanie, Autokult und Fitnesswahn lassen uns nach dem besseren Leben jagen. Wir sind von dem Wahn besessen, wir könnten es herbeizwingen. Aber nur auf den vorgeschriebenen Wegen bitte! Oder wie ist es sonst zu verstehen, dass die Fitnessjünger mit dem Aufzug zum Tempel hinaufschweben, in dem sie sich dann mit den «richtigen» Geräten bewegen. Treppensteigen sieht der Gebotekatalog der Fitness-Church nicht vor.
    Jedes Sichniederlassen erleben die Dauerbewegten als Niederlage. Früher war man noch stolz auf sein Eigenheim. Heute nennt sich das Altenteil. Und wer mit 50 dann endlich «heiratet» – ich schreibe es bewusst in Anführungsstrichen   –, erzählt dem Kollegen, wie ich es selbst einmal im Zug belauschte, er habe seine Altenpflegerin «geehelicht.»
    Am besten mal eben weg sein – egal wohin. Und möglichst oft «mal eben». Aber bloß nicht irgendwo ankommen, wo man bleiben kann. Wir vertrösten uns angesichts der Mängel, die wirim Heute erfahren, auf das Morgen. Wir sprechen nicht über die Situation. Wir packen das Leben nicht an. Wir verabschieden uns zu früh. Wir fühlen uns geradezu verpflichtet, nicht tiefer zu bohren, sondern lassen uns vom falschen Trost locken: Woanders wird es besser sein! Wer es hier nicht mehr aushält, bricht eben wieder auf. Diese Kurzsichtigkeit verurteilt uns zu dem Gefühl, uns mitten im Abbruch auch noch «ganz doll echt» oder wie auch immer zu fühlen. Kein Wunder, dass keine andere geistliche Metapher bei den sich noch «irgendwie» spirituell gebenden Zeitgenossen eine solche Konjunktur hat wie jene, dass der Weg das Ziel sei. Als sei Gehen ein Selbstzweck! Das ist so, als würde man sagen: Das Kochen ist das Essen. Dabei weiß jeder, wie sehr die Aussicht auf ein schmackhaftes Mahl und die Freude der Gäste das Kochen beflügeln. Und macht es einem noch so viel Spaß: Ohne dieses Ziel erlahmt die Bewegung. Die Kunst, die Konfuzius meint, entsteht, wenn man auf dem Weg bleibt. Also beim Kochen wirklich kocht. Und sich nicht ständig mit der Aussicht auf die Gäste über all die Arbeit des Kochens hinwegtröstet. (Wir reden in der Klosterküche noch über die vielen Kochshows, warten Sie es ab!) Den Weg gehen (und nicht der Weg selbst) ist das Ziel. Oder anders ausgedrückt: Ich habe meinen Willen auf den Weg gerichtet, den ich jetzt gehen kann, weil ich um das Ziel weiß.
    Den Gründern von Kapuzinerklöstern war klar, welches Ziel die Brüder verfolgten. Deshalb bauten sie die Niederlassungen am unbewohnten Stadtrand, dort, wo die Armen lebten. Franziskus von Assisi, der erste der Brüder, hatte entdeckt: Gott ist bei den Armen zu finden. Gott ist selbst arm geworden. Man braucht sich nur die Krippe und das Kreuz anzuschauen.
    Das waren damals keine neuen Zeichen. Aber Franziskus hat sie ganz neu interpretiert. Er sah, wie arm Jesus war am Anfangund am Ende seines Lebens. Er entdeckte im Evangelium, dass Jesus ein einfacher Wanderprediger war, der sich nur noch auf Gott und auf gute Menschen verließ. Genau das Gleiche wollte Franziskus auch machen. Er lehnte den Vorschlag des Bischofs von Assisi ab, Benediktiner zu werden. Er verkaufte seinen Besitz, wurde Tagelöhner und bettelte, wenn der Lohn nicht reichte. Und das alles freiwillig. Franziskus hatte schon zehn Jahre nach dieser Entdeckung 10   000   Brüder, die so leben wollten wie er: angewiesen auf das Wohlwollen der anderen, ein Leben ohne Eigentum. In der Sehnsucht bleibend nach der Erfüllung in der Liebe, die nur Gott schenken kann: keusche Ehelosigkeit. Bereit, sich auf Lebenswege einzulassen, die man sich nicht selbst ausgedacht hat: Gehorsam.
    Diese drei Gelübde gab es natürlich schon in der Kirche. Aber Franziskus von Assisi interpretierte sie so radikal neu, dass es noch heute nachwirkt. Er stellt das Bild, das viele von einem erfolgreichen Leben haben, auf den Kopf. Wer so kurzsichtig ist, dass er nur so weit sieht, wie er zählen und rechnen kann, schüttelt über Brüder mit einem solchen
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