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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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mehr wahrnehmen können, was wirklich wichtig ist. Wir werden auf diese Weise bewusst verwirrt, ganz nach dem Motto: Alles ist schlimm. Dann macht es doch gar nichts, wenn ihr da einfach mitmacht.
    Und so wird uns gebetsmühlenartig suggeriert: Wer noch keine Grenzen überschritten hat, bleibt unter seinen Möglichkeiten und ist out. Eine tugendhafte Frau? Die ist doch langweilig. Und ein tugendhafter Mann? Der kann es nicht weit bringen. Fehler? Gibt es nicht. Verzeihung? Ist nicht nötig, denn alles lässt sich erklären. (Dabei weiß jeder, der sich wirklich einmal eine Stunde der Stille in seinen eigenen vier Wänden gönnt: Wir haben ein Gewissen, das uns als Kompass untrüglich weisen kann, was wir zu tun und was wir zu lassen haben, was wir besser getan und was wir besser gelassen hätten.
    Unsere Kinder bekommen Bilder vom Leben ins Hirn, die weit entfernt sind von dem, was uns in Deutschland einmal starkgemacht hat: der Glaube daran, dass es einen Sinn hat, zum Beispiel zugunsten des gemeinschaftlichen Anpackens persönlich zurückzustehen. Die Hoffnung, dass auch Tiefen ein Ende haben werden, wenn wir sie gemeinsam durchstehen. Die Liebe, die den Menschen dazu befähigt, sich an Werten zu orientieren, die ihm mehr bedeuten als der eigene Geldbeutel. Stattdessen heißt es, dass es im Leben eben «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» gibt. Ein 3 0-minütiger drehbuchgerechter Episodenmix nährt Vorstellungen vom Leben, die mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun haben. So schnell kann man sich überhaupt nicht streiten, versöhnen, wieder streiten, einen neuen Partner finden etc. Da alles so rasch geht, verliert unsere Jugend das Gefühl für den persönlichen Spannungsbogen des Lebens. Zu diesem gehört, dass sich alles langsam entwickelt und wir darin mit Achtsamkeit und für das Heute verantwortlich die Weichen stellen müssen. Stattdessen werden die jungen Leute glauben gemacht, es entwickle sich alles von selbst; das Wichtigste sei, dass es Spaß mache. Jetzt. Sofort. Und später noch mehr. Man müsse nur dranbleiben.
    Mich wundert nicht mehr, dass die Jugendlichen es für normal halten, mit der Handycam Gewalt an Mitschülern aufzuzeichnen. Sie lassen Videos übelster Machart in der Gruppe zirkulieren und merken gar nicht, wie sie dem Werbekonzept des Anbieters auf den Leim gehen, der sich ebendadurch eine bessere Position in der Gruppe erhofft. Die Kinder tun, was sie von uns Erwachsenen lernen: Es zählt nur noch, dass die Bilder teuer verkauft werden können. Und: Je voyeuristischer und abstoßender sie sind, umso höher die Einschaltquote. Als Papst Benedikt   XVI. anlässlich des Weltjugendtags 2005 auf dem Kölner Domplatz war, entschied ein Nachrichtensender, die Liveübertragung dieses friedlichen Fests abzubrechen – zugunstender Übertragung von Livebildern einer Gewaltaktion in Israel. (Was sich im Nachhinein als Fehlentscheidung erwies: Die Quote sank!) Und als ich vorschlug, man könne als gute Reportage die behinderten Jugendlichen nach ihren Eindrücken von der Begegnung mit dem Papst fragen, erhielt ich die lakonische Antwort: «Wir können das gern drehen, aber gesendet wird das sowieso nicht; das senkt die Quote.»
    Immerhin: Sie sind nun hier vor unserem Kloster. Sie wollen sich selbst ein Bild machen. Sie sind zum echten Nahsehen entschlossen. Die offene Begegnung ist der beste Weg zu einer fundierten Überzeugung. Bei allem Respekt vor den Medien: Nichts ersetzt das Selbst-in-Augenschein-Nehmen. Gehen Sie nur recht nah heran. Wer aus einer Gesellschaft kommt, in der Kurzsichtigkeit proklamiert wird, muss sich regelrecht dazu durchringen, genauer hinschauen zu wollen. Dass Sie das nun tun, ist ein Zeichen Ihrer Liebe: Sie möchten den Wert erkennen, der im echten Leben liegt. Sie sind bereit, Ihre Einstellung auf den Prüfstand der Wirklichkeit zu stellen. Und das ist gut so! Liveerfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Sie geben dem Wort «Interesse» die Ehre. Es bedeutet so viel wie Dazwischensein, Austausch, Begegnung und Bildung. Wir müssen wieder lernen, unsere Bilder von der Wirklichkeit mit dem zu vergleichen, was wirklich ist.
    Einfach ist das nicht. Es ist sogar ein gewisses Abenteuer. Denn wenn sich durch unser aufrichtiges Interesse unsere Vorstellungen verändern, verändern wir uns damit auch selbst. Nicht umsonst hat man Kopernikus lange bekämpft, weil seine Himmelsbeobachtung die Vorstellung zerstörte, die Erde sei der Mittelpunkt der Welt. Eine ähnliche Wende
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