Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren
Autoren: Anna Paredes
Vom Netzwerk:
Ihren Ehemann überragte sie um Haupteslänge, ihre Leibesfülle wies im Vergleich zu der ihres Angetrauten sicher den doppelten Umfang auf. Sie stammte von einem Adelsgut aus dem Bergischen Land und ließ gern durchblicken, dass sie eigentlich unter ihrem Stand geheiratet hatte. Einzig und allein der Liebe wegen, wie sie mit leisem Seufzen und kokettem Augenaufschlag zu bekunden pflegte.
    Aber Dorothea hatte mittlerweile von der Köchin erfahren, dass es bei dieser Ehe weniger um Zuneigung als um eine Vereinbarung unter Geschäftspartnern gegangen war. Anton Rodenkirchen hatte Agnes’ Vater in einer heiklen Angelegenheit, in der es um Ländereien und hohe Geldsummen ging, vor Gericht vertreten und einen Urteilsspruch zugunsten des Grafen erwirkt.
    Ein halbes Jahr später war Anton Rodenkirchen mit der ältesten Tochter seines Mandanten verheiratet gewesen, wohnte in einem hochherrschaftlichen Haus an einer der ersten Adressen Kölns und ging in den erlauchtesten Kreisen ein und aus. Seine Klientel bestand vornehmlich aus Ratsherren, Ärzten und Geistlichen.
    Maria und Moritz schrien nun ständig durcheinander, gingen aufeinander los und zerrten sich gegenseitig an den Haaren.
    »Der Moritz ist schuld …«
    »Gar nicht wahr, die blöde Ziege lügt …«
    »Gemeinheit …«
    Dorothea trennte die beiden Streithähne. »Bitte, Kinder, vertragt euch! Frau Rodenkirchen, wenn ich dazu etwas sagen darf …«
    »Danke, das ist nicht nötig. Wem gehören die Stifte? Dir, Maria? Dann hebst du sie auch auf. Keine Widerrede! Und du, Moritz, wäschst dir die Hände und ziehst dich um. Du weißt, du darfst deinen Vater heute zu einem Klavierabend bei Baron Mansfeld begleiten. Es heißt, an seiner Frau sei eine Pianistin verloren gegangen. Wie bedauerlich, dass ich euch nicht begleiten kann. Ich fühle mich … unpässlich.«
    Unpässlich fühlte Agnes Rodenkirchen sich immer dann, wenn sie Menschen aus dem Weg gehen wollte, die sie nicht leiden konnte. Und Baronin Mansfeld und sie waren Erzfeindinnen, wie die redselige Köchin Dorothea einmal anvertraut hatte. Einen Grund dafür konnte sie allerdings nicht nennen.
    Moritz schnitt eine Grimasse und streckte seiner Schwester die Zunge heraus. Dann stolzierte er hoch erhobenen Hauptes in sein Zimmer. Maria presste die Lippen aufeinander und blickte hilfesuchend zu ihrer Lehrerin auf. Als diese bedauernd die Schultern hob und kaum merklich nickte, sammelte die Kleine schließlich die Stifte ein. Dabei fielen einige Tränen auf den Teppich.
    Am liebsten hätte Dorothea das Kind in die Arme genommen und getröstet. Doch es stand ihr nicht zu, sich in die Erziehungsprinzipien der Mutter einzumischen. Als Lehrerin war sie lediglich für Deutsch, Rechnen, Malen und Singen zuständig. Außerdem durfte Dorothea es sich mit den Rodenkirchens nicht verderben. Schließlich war sie auf das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber angewiesen. Trotzdem ärgerte sie sich über die Hartnäckigkeit, mit der die Familie stets den hochnäsigen Moritz bevorzugte. In einem unbeobachteten Moment, ohne dass die Mutter etwas davon mitbekam, steckte Dorothea der Kleinen eine Pfefferminzpastille zu. Augenblicklich hellte die Miene des Mädchens sich auf.
    »Ach, kommen Sie doch für einen Moment in den Salon, Fräulein Fassbender. Sie müssen mir unbedingt erzählen, welche Fortschritte die beiden Kinder in letzter Zeit gemacht haben. Wie lange sind Sie bei uns inzwischen in Stellung? Ein halbes Jahr?«
    Agnes Rodenkirchen ging gemessenen Schrittes voraus und prüfte dabei den Sitz ihres untadelig aufgesteckten gelbblonden Haares. Sie wies Dorothea einen jener zierlichen französischen Sessel an, wie sie seit Kurzem in den besseren Kreisen in Mode gekommen waren. Die Dame des Hauses hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich nach Paris zu reisen und die Möbel beim Hoflieferanten des mittlerweile von seinem Volk davongejagten Königs Louis-Philippe in Auftrag zu geben. Auch der marmorne Kamin mit dem darüber hängenden goldgerahmten Spiegel und ein Nussbaumsekretär mit Perlmuttintarsien zeugten von französischer Herkunft.
    Denn wer etwas auf sich hielt – und das taten Anton Rodenkirchen und seine Frau Agnes –, der orientierte sich an den Gepflogenheiten des westlichen Nachbarlandes. Insbesondere daran, was am französischen Hof angesagt war, mochte der deutsche Adel auch noch so sehr darum eifern, in Stilfragen den Untertanen ein Vorbild zu sein. Die Gefälligkeit und Leichtigkeit der Franzosen in Bezug auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher