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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren
Autoren: Anna Paredes
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Möbel, Musik und Mode übertrumpften bei Weitem die deutsche Behäbigkeit. Feindgefühle hin, Feindgefühle her. Und die hegten nach wie vor so manche ältere Bürger, die die unselige Zeit noch in lebhafter Erinnerung hatten, als napoleonische Truppen ins Rheinland einmarschierten und den Besiegten ihre Gesetze aufnötigten. Aber um Politik hatten die Rodenkirchens sich ohnehin nie geschert.
    Dorothea setzte sich auf die Sesselkante und überlegte, wie ihre Dienstherrin wohl in einem derart schmalen Sitzmöbel Platz nehmen wollte. Doch Agnes Rodenkirchen wählte das Sofa, in dem sie wie eine schwere Last versank. Ihr resedafarbenes Seidenkleid bildete einen reizvollen Farbkontrast zu dem dunkelblauen Bezugsstoff mit eingewebten Rosenblüten, wie Dorotheas geschultes Auge sogleich feststellte.
    »Gnädige Frau, ich stehe seit nunmehr neun Monaten in Ihren Diensten, und ich muss sagen, beide Kinder haben große Fortschritte gemacht. Moritz beherrscht mühelos das große Einmaleins, auch das Lesen ist viel flüssiger geworden. Und Maria ist sehr eifrig und strengt sich bewundernswert an. Ein echter Sonnenschein. Malen und Singen liegen ihr besonders.«
    Dorothea lächelte über ihre Zweifel hinweg, dass diese Kinder jemals herausragende schulische Leistungen erbringen würden. Maria war liebenswert und anlehnungsbedürftig, aber ihr fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Nur wenn es sich um Tiere handelte, hörte sie aufmerksam zu. Sonst aber ließ sie sich leicht ablenken, wollte lieber herumtollen als still sitzen. Weswegen Dorothea ihren Eltern den Vorschlag machen wollte, den Unterricht bei schönem Wetter im Garten abzuhalten und ihn zwischendrin durch Bewegungsspiele aufzulockern.
    Moritz war nicht dumm, aber faul. Er hatte wenig Lust, Diktate zu schreiben oder seine Rechenaufgaben zu machen. Immer wieder musste Dorothea mit Engelszungen auf ihn einreden. Allerdings war sein Selbstbewusstsein nicht zu erschüttern. Während die meisten Jungen in seinem Alter davon träumten, Ritter oder Entdecker zu werden, sah er sich schon als Bürgermeister oder reichen Fabrikbesitzer, umgeben von einer Schar von Dienstboten.
    Agnes Rodenkirchen nickte zufrieden und lehnte sich gegen ein Sofakissen, wobei ihr das eng geschnürte Korsett eine nur mäßig komfortable Haltung erlaubte. »Ich habe den Eindruck, die Kinder kommen mit Ihnen sogar besser zurecht als mit den Hauslehrern, die wir vorher hatten. Obwohl ich zunächst meine Zweifel hatte, waren sie doch noch nie von einer Frau unterrichtet worden. Obendrein sind Sie ja noch recht jung und unerfahren, Fräulein Fassbender …«
    Dorothea straffte die Schultern, und Agnes Rodenkirchen schickte ihren Worten rasch ein begütigendes Lächeln hinterher.
    »Aber mein Mann hat sich von Ihren hervorragenden Zeugnissen vereinnahmen lassen. Wissen Sie, mein Gatte und ich, wir möchten Moritz und Maria auf keine Schule schicken, in der sie mit Arbeiterkindern oder sonstigem Gesindel die Bank teilen müssen. Wer weiß, auf welch unselige Gedanken sie dann kämen? Und ganz sicher würden sie Flöhe mit nach Hause bringen oder sich die Krätze holen.«
    Sie schüttelte sich und rieb sich den Arm, als wäre sie bereits von einem Parasiten gebissen worden. Als sie Dorotheas befremdeten Blick bemerkte, legte sie ihre fleischige, goldberingte Hand auf die Sofalehne zurück und verfiel in einen Plauderton.
    »Nun, mit Moritz hat noch nie ein Lehrer Mühe gehabt. Von Ihnen spricht er übrigens in letzter Zeit geradezu schwärmerisch … Als Mutter bin ich womöglich voreingenommen, aber ich sehe durchaus die überragenden Talente, die der Junge besitzt. In einigen Jahren wird er in die Kanzlei meines Mannes eintreten. Maria … nun ja, sie ist ein niedliches Dummerchen.« Frau Rodenkirchen machte eine Handbewegung, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. »Doch wozu soll ein Mädchen sich allzu sehr mit dem Lernen plagen? Sie wird einmal ihrem Mann den Haushalt führen und die Dienstboten beaufsichtigen. Wie es sich für eine Frau ihres Standes gehört. Ich meine allerdings, Sie als Lehrerin sollten etwas strenger mit ihr sein und nicht jeder Laune nachgeben. Sonst tanzt sie uns womöglich eines Tages auf der Nase herum.«
    Die Kleine braucht vor allem Zuwendung und Ermunterung, weil sich alles nur um ihren angeblich so begnadeten älteren Bruder dreht, wollte Dorothea entgegnen, doch sie schluckte die Antwort rasch hinunter. Vermutlich wäre es gar nicht einmal das Schlechteste,
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