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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren
Autoren: Anna Paredes
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vorgehen. Am besten weihte sie die Eltern erst dann ein, wenn Alexander den Buchvertrag unterzeichnet hatte, der ihm und ihr eine Existenz und Zukunft sicherte. Mit diesem Kontrakt hätten sie einen Trumpf in der Hand. Und danach könnten sie das Aufgebot bestellen und sich um die Überfahrt kümmern. Und selbst wenn die Eltern ihr dann immer noch die Zustimmung verweigern würden – Dorothea würde ihren Weg unbeirrt weiter beschreiten.
    Angestrengt dachte sie darüber nach, mit welcher Begründung sie ihre Eltern dazu bewegen könnte, allein zum Konzert zu gehen. Ihr Vater hatte drei Wochen zuvor eine Einladung aus der Westentasche gezogen. Während er sich gleich darauf in die Lektüre einer medizinischen Fachzeitschrift vertieft hatte, war die Mutter ehrfurchtsvoll verstummt. Ihr Gesicht bekam einen versonnenen Ausdruck.
    »Eine Einladung bei Graf und Gräfin Schenck zu Nideggen. Darauf habe ich lange gewartet. Bei denen verkehren nur Leute von Rang und Namen … Hör mir gut zu, Dorothea. Wir haben schon häufiger davon gesprochen. Es wird Zeit, dass du deinen eigenen Hausstand gründest. Leider hast du dich ja bisher für keinen der Männer interessiert, die ich als standesgemäße Kandidaten vorgeschlagen habe. An diesem Abend bietet sich dir eine einmalige Gelegenheit.«
    »Sehr richtig«, murmelte der Vater aus dem Hintergrund, »deine Mutter hat völlig recht.«
    Dorothea wurde blass. Sie lag mit ihren Überlegungen leider richtig. Ihre Liebe zu Alexander musste vorerst ein Geheimnis bleiben.
    »Wenn wir beim Adel zu Gast sind, muss ich mir aber unbedingt ein neues Kleid nähen lassen«, wandte sich Sibylla Fassbender an ihren Gatten. »Eins, mit dem ich der Gastgeberin nicht den Rang ablaufe und mich trotzdem vorteilhaft von den übrigen Frauen abhebe.« Sie brauchte nur wenige Sekunden, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. »Am elegantesten wäre etwas in malvenfarbenem Ton, mit ein wenig Spitze am Ausschnitt und Stickerei am Rocksaum. So wie ich es letztens in einer französischen Modezeitschrift gesehen habe.«
    »Du hast recht, Liebes. Natürlich sollst du an diesem Abend etwas Ungewöhnliches tragen. Und was ist mit Dorothea? Ich vermute, das Ganze wird für mich eine recht kostspielige Angelegenheit.«
    Noch bevor Dorothea ihrem Vater antworten konnte, war ihr die Mutter zuvorgekommen.
    »Mach dir wegen deiner Tochter keine Gedanken, Hermann. Ihr Schrank ist weiß Gott voll genug. Außerdem ist für ein Mädchen in ihrem Alter die Jugend das schönste Kleid …« Sie ließ den Satz unvollendet im Raum stehen und bekam ganz schmale Lippen.
    Dorothea kämpfte gegen die Tränen an. Nicht weil sie sich ebenfalls ein neues Kleid wünschte. Sie besaß in der Tat genug zum Anziehen. Sondern weil die Mutter in diesem verletzenden Tonfall sprach, der ihr jedes Mal wie ein Stich ins Herz fuhr. Niemals verwendete Sibylla Fassbender den Begriff »meine Tochter«. Ihrem Mann gegenüber sprach sie nur von »deiner Tochter«. In Anwesenheit anderer sprach sie stets von »unserer Tochter«.
    Oftmals hatte Dorothea darüber nachgedacht, warum die Mutter so deutlich von ihr abrückte. Es gab ein Bild, das im Salon über dem Kamin hing. Es zeigte sie im Alter von fünf Jahren, wie sie mit einer Puppe zwischen den Eltern auf dem Sofa saß. Immer wieder hatte sie das Gemälde betrachtet und sich gefragt, ob es irgendein Geheimnis bergen könne. Aber das Bild zeigte eine ganz gewöhnliche Familie. Die eigenartige Distanz, die sie zu ihrer Mutter spürte und die sie immer wieder hilflos und traurig stimmte, war ihr einfach unerklärlich.
    Nun also stand Dorothea vor dem Spiegel und stellte fest, dass sich an dem dunkelblauen Kleid einer der Perlmuttknöpfe gelöst hatte. Um ihn anzunähen, blieb ihr nicht mehr genügend Zeit. Also würde sie das grüne mit den Spitzenmanschetten anziehen. Sie seufzte leise, doch mit einem Mal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Denn bald, sehr bald sogar würde alles anders werden. Wenn sie erst einmal mit Alexander verheiratet wäre und mit ihm fortgehen würde. Dann würde ihr die Mutter in nichts mehr dreinreden können. In gar nichts.
    »Dorothea, bist du immer noch nicht fertig? In zehn Minuten müssen wir los.«
    Die schneidende Stimme der Mutter drang durch die geschlossene Zimmertür und riss Dorothea aus ihren Träumereien. In Windeseile zog sie sich um, streifte den Mantel über, setzte den Hut auf und schaffte es sogar, noch vor den Eltern in der Diele zu erscheinen.
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