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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren
Autoren: Anna Paredes
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gusseisernen Türklopfer gegen die Wohnungstür zu hämmern, und zweitens, die Nachricht ausschließlich der Adressatin auszuhändigen, dem Fräulein Dorothea Fassbender. Und so war der Bursche eine Weile unschlüssig draußen vor der Wohnungstür auf und ab gegangen, bis Dorothea ihn zufällig durch den milchigen Glaseinsatz mit ziselierten Blütenranken entdeckt hatte.
    Sie hatte dem Boten die Nachricht blitzschnell aus der Hand genommen und in ihrer Rocktasche verschwinden lassen. Solche Vorsicht war durchaus vonnöten, schließlich war Dorothea erst seit einem knappen Dreivierteljahr als Haus- und Zeichenlehrerin im Hause Rodenkirchen in Anstellung, und die wollte sie keinesfalls leichtfertig aufs Spiel setzen. Die Arbeit mit den Kindern mochte an manchen Tagen zwar anstrengend sein, aber sie bereitete ihr dennoch großes Vergnügen. Zum anderen konnte sie mit gutem Grund für mehrere Stunden am Tag ihrem tristen Elternhaus entfliehen und dabei sogar eigenes Geld verdienen. Was allerdings ihre Mutter für Zeitverschwendung hielt. Schließlich stamme Dorothea aus einer angesehenen Arztfamilie und werde ohnehin in absehbarer Zeit heiraten. Sobald ein passender Ehemann gefunden sei.
    Jedenfalls hätte ein an Dorothea persönlich adressiertes Schreiben, abgegeben im Haus ihres Dienstherrn, zu einigem Misstrauen, wenn nicht sogar zu Nachforschungen geführt. Denn welchen Grund mochte eine ehrbare junge Frau haben, geheime Nachrichten zu empfangen? Noch dazu von jemandem mit dem mysteriösen Namenskürzel A.
    Ein eisiger Wind fuhr ihr ins Gesicht, die zarte Haut ihrer Wangen rötete sich. Dorothea suchte Schutz in einem Hauseingang und behielt dabei das schmiedeeiserne Tor zum Alten Botanischen Garten fest im Blick. Sie knotete das wollene Schultertuch enger und vergrub die Hände in einem Muff aus schwarzem Schaffell. In unförmige dicke Wollmäntel gekleidete Angestellte der umliegenden Notariate und Geschäftshäuser stapften, die Kragen hochgeschlagen, achtlos an ihr vorüber. Dorothea mochte den Winter nicht, sie sehnte sich nach den bevorstehenden Tagen, wenn Sonnenstrahlen die Stadt in mildes Licht tauchen und die Körper und Seelen der Menschen wärmen würden.
    Doch besonders sehnte sie sich nach demjenigen, der ihr so eilig und so dringend etwas mitteilen wollte und auf den sie hier wartete. Den Mann, der ihr Herz überraschend und wie im Sturm erobert hatte: Alexander Weinsberg. Dorothea musste an die erste Begegnung vor dem Kolonialwarenladen in der Komödienstraße zurückdenken, als sie an einem kühlen grauen Herbsttag nach der Arbeit für ihre Mutter eingekauft hatte, nachdem die Köchin erkrankt war. Und als sie bei plötzlich einsetzendem Regen fröstelnd vor der Ladentür gestanden und trotz mehrmaliger Versuche ihren Schirm nicht hatte öffnen können.
    »Mein Fräulein, darf ich Ihnen behilflich sein?«, hatte er gefragt, mit einem Lächeln, bei dem ihr die Knie weich geworden waren, und mit einer tiefen, rauen Stimme, in der ein Hauch Spott mitschwang. Ihr waren sofort seine warmen braunen Augen und die feinen Grübchen neben den Mundwinkeln aufgefallen. Das wellige dunkelblonde Haar war mindestens eine Handbreit zu lang, um als schicklich zu gelten. Auch der offene Hemdkragen und der ausgeblichene, nachlässig um den Hals geschlungene Schal legten die Vermutung nahe, dass ihr Gegenüber weder einer jener eingebildeten Stutzer war, die den Mädchen auf der Straße nachpfiffen, noch ein penibler Staatsdiener. Eher ein Student oder Lebenskünstler. Ein äußerst gut aussehender obendrein.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er ihr den Schirm aus der Hand genommen und offensichtlich mühelos und in Sekundenschnelle geöffnet. Auf sein amüsiertes Augenzwinkern hin hatte Dorothea verlegen nach dem Schirm gegriffen und war mit einem hastig gemurmelten Dank davongeeilt. »Stets zu Diensten«, konnte sie gerade noch hinter ihrem Rücken vernehmen, bevor sie um die nächste Straßenecke bog.
    Schon einen Tag später waren sie sich am gleichen Ort und zur gleichen Zeit ein weiteres Mal begegnet. Nicht zufällig, wie sie einander im Nachhinein gestanden, denn jeder hatte gehofft, den anderen wiederzusehen. Von da an hatten sie sich regelmäßig getroffen. Hatten zu Sankt Martin in einem Café beim Dom gemeinsam einen Weckmann verzehrt und Kakao getrunken. Waren am Nikolaustag am Rheinufer spazieren gegangen und hatten die Eisschollen beobachtet, die gemächlich stromabwärts geglitten waren. Dabei hatten
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