Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
1 Pic de Soularac
     
    Sabarth è s-Berge
     
    Südwestfrankreich
     
    Montag, 4. Juli 2005
     
    E in dünner Blutfaden läuft die blasse Innenseite ihres Arms wie ein roter Saum auf einem weißen Ärmel hinunter. Zuerst hält Alice es für eine Fliege und achtet nicht weiter darauf. Insekten gehören zum Berufsrisiko bei einer Ausgrabung, und aus unerfindlichen Gründen sind weiter oben auf dem Berg, wo sie arbeitet, mehr Fliegen als unten an der Hauptausgrabungsstätte. Dann fällt ihr ein Tropfen Blut auf das nackte Bein und zerspritzt wie ein Feuerwerkskörper am nächtlichen Silvesterhimmel.
    Diesmal schaut sie auf ihren Arm und sieht, dass der Schnitt innen am Ellbogen wieder aufgegangen ist. Es ist eine tiefe Wunde, die einfach nicht heilen will. Sie seufzt, drückt dann das Pflaster mit dem Mull darunter fester auf die Haut. Dann, weil keiner da ist, der es sehen könnte, leckt sie sich das Blut vom Handgelenk.
    Einzelne Haarsträhnen, die die hellbraune Farbe von Karamell haben, sind aus dem Pferdeschwanz unter ihrer Mütze gerutscht. Sie streicht sie sich hinter die Ohren und wischt sich mit einem Taschentuch über die Stirn, ehe sie das Gummiband ihres Pferdeschwanzes wieder festzieht.
    Aus ihrer Konzentration gerissen, steht Alice auf und streckt die langen Beine, die von der Sonne leicht gebräunt sind. Sie trägt eine abgeschnittene Jeans, ein enges weißes T-Shirt, eine Baseballmütze und sieht kaum älter aus als ein Teenager. Früher hat sie das gestört. Jetzt, wo sie älter wird, weiß sie, dass es auch Vorteile hat, jünger auszusehen, als man ist. Der einzige Hauch von Eleganz sind ihre zarten, sternchenförmigen Silberohrringe, die wie Pailletten glitzern.
    Alice schraubt ihre Wasserflasche auf. Das Wasser ist warm, aber sie ist durstig und trinkt es in langen Zügen. Unterhalb von ihr flimmert der Hitzeschleier über dem rissigen Asphalt der Straße. Über ihr ist der Himmel endlos blau. Die Zikaden singen unermüdlich im Chor, versteckt im Schutz des trockenen Grases.
    Sie ist das erste Mal in den Pyrenäen, aber sie fühlt sich hier richtig zu Hause. Man hat ihr erzählt, dass die zerklüfteten Gipfel der Sabarthès -Berge im Winter schneebedeckt sind. Im Frühling lugen zarte Blumen mit rosa und mauvefarbenen und weißen Blüten aus ihren Verstecken auf den gewaltigen Felsflächen. Im Frühsommer sind die Weiden grün und mit gelben Butterblumen übersät. Jetzt jedoch hat die Sonne das Land in die Knie gezwungen und alles Grün in Braun verwandelt. Es ist schön hier, denkt sie, und doch irgendwie ungastlich. Es ist ein Ort voller Geheimnisse, einer, der zu viel gesehen und zu viel verborgen hat, um wirklich mit sich selbst im Reinen zu sein.
    Im Hauptlager weiter unten am Hang sieht sie ihre Kollegen unter dem großen Sonnenzelt stehen. Sie kann Shelagh in ihrem für sie typischen schwarzen Outfit erkennen. Sie wundert sich, dass unten bereits keiner mehr arbeitet. Es ist noch sehr früh für eine Pause, doch das ganze Team ist ein bisschen demoralisiert.
    Die Arbeit ist die meiste Zeit mühselig und monoton, das Graben und Kratzen, das Katalogisieren und Aufschreiben, und die bisherige Ausbeute rechtfertigt kaum die ganze Strapaze. Sie haben ein paar Scherben von frühmittelalterlichen Töpfen und Schalen und zwei Pfeilspitzen aus dem späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert gefunden, aber eben noch keine einzige Spur von der paläolithischen Siedlung, um die es bei der Ausgrabung eigentlich geht.
     
    Alice überlegt, ob sie hinunter zu ihren Freunden und Kollegen gehen und sich den Arm neu verbinden lassen soll. Die Wunde brennt, und die Beine tun ihr vom ständigen Hocken weh. Ihre Schultermuskeln sind verkrampft. Doch sie weiß, wenn sie jetzt aufhört, verliert sie den Schwung.
    Vielleicht hat sie ja bald Glück. Am frühen Morgen hat sie ein Blinken unter einem großen Felsbrocken gesehen, der sauber und ordentlich am Berghang lehnt, fast so, als hätte ihn eine riesige Hand absichtlich so hingestellt. Sie kann zwar nicht erkennen, um was es sich bei dem Gegenstand handelt, nicht einmal, wie groß er ist, doch sie gräbt schon den ganzen Morgen und müsste bald am Ziel sein.
    Sie weiß, dass sie einen von den anderen dazu holen sollte. Oder zumindest Shelagh Bescheid sagen, ihrer besten Freundin und Assistentin des Ausgrabungsleiters. Alice ist keine ausgebildete Archäologin, nur eine Freiwillige, die einen Teil ihres Sommerurlaubs mit etwas Sinnvollem verbringen möchte. Aber es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher