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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Autoren: Anna Kendall
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und jetzt hatte ich keinen mehr.
    Ich war allein, und mein Freund war ins Land der Toten gegangen.
    Wir begruben Tom in der Senke hinter dem Kiefernhain. Der Boden war hier weicher, von einem dicken Stapel Laub gewärmt, der von den unvorhersehbaren Mustern der Herbstwinde zusammengeweht worden war. Wir hatten keinen Windschutz und konnten keinen der Umhänge erübrigen, einen aus Fell und einen aus Leder, aber ich wollte seinen Körper ohnehin nicht einwickeln. Tom Jenkins hatte immer mit aller Kraft im Hier und Jetzt gelebt, ohne künstliche Barriere zwischen sich und allem, was ihm begegnete, hatte an jeder Biegung begierig Erfahrungen entgegengesehen. Sollte er dem Grab auf dieselbe Weise begegnen. Und jenseits des Grabes war er sicher. So hatte es mir Mutter Chilton gesagt, und auch wenn ich nicht verstand, was sie meinte, glaubte ich ihr, weil es unerträglich war, es nicht zu tun.
    Wir hoben ein tiefes Grab aus, Jee und ich, indem wir starke Äste als Schaufeln benutzten, und sammelten Steine, um es anschließend zu bedecken, damit keine wilden Tiere dort gruben. Es dauerte Stunden, bis zum Sonnenuntergang. Ich begrüßte die Anstrengung. Sie hielt mich davon ab, an Katharine zu denken und daran, was ich ihr auf der anderen Seite angetan hatte. Es hielt mich beinahe vom Denken ab. Beinahe.
    Wir ließen Stephanie nicht an Toms Begräbnis teilnehmen. Ihr Kopf schmerzte von dem Schlag, den ich ihr verpasst hatte, und wir ließen sie mit den beiden Frauen am Feuer zurück. Jee und ich rollten Tom in die Grube, die wir ausgehoben hatten, bedeckten ihn und sagten ein paar Worte. Ich erinnere mich nicht daran, was gesagt wurde. Es spielte keine Rolle. Keine Worte hätten dem lebensfrohen Tatendrang von Tom Jenkins Tribut zollen können.
    Ehe wir ihn in das Grab legten, griff Mutter Chilton in Toms Tasche und zog etwas Kleines heraus. Als sie meinen Blick auffing, öffnete sie die runzlige alte Hand. Auf ihrer Handfläche lag die Miniatur von Fia.
    »Es ist ein Erkennungszeichen«, sagte ich. »So haben meine Schwester und ihre Hisafs gewusst, wo wir waren.«
    »So haben es auch wir Frauen von den Seelenkünsten gewusst«, sagte Mutter Chilton schneidend. »Denk nicht immer nur an die böse Seite der Dinge, Roger.«
    Was für ein dummer Rat. Alles war böse: meine Schwester, die Bresche in der Mauer zwischen Leben und Tod, die abtrünnigen Hisafs, die Expedition der Wilden zur Entführung von Stephanie, die Angst vor mir hatte, seit ich sie geschlagen hatte.
    Mutter Chilton fügte hinzu: »Eine Axt kann man benutzen, um Holz zu schlagen oder um einem Mann die Beine abzuhacken. Das Böse liegt nicht in der Axt, sondern darin, wie man sie einsetzt.«
    »Ihr wisst noch nicht, was ich Böses getan habe.«
    Ihre alten Augen wurden scharf. »Was? Was hast du getan?«
    Ich erzählte es ihr. Zum ersten und letzten Mal sah ich Verwirrung auf dem Gesicht von Mutter Chilton. Sie sagte bebend: »Was bedeutet das?«
    Sie fragte mich? Ich sagte wütend, der Zorn eine Maske der Qual: »Es bedeutet, dass ich meine Schwester getötet habe! Es bedeutet, dass ich ein Mörder bin. Es bedeutet, dass Katharine keine Bedrohung mehr für mich und die Meinen darstellt.«
    »Ja, aber das Netz…«
    Auf einmal war mir das Netz gleich. Mutter Chilton, Alysse, Stephanie und sogar Jee waren mir gleich. Ich wollte Maggie, sehnte mich mit jeder Sehne meines erschöpften und mörderischen Körpers nach ihr, verlangte nach ihr wie ein Schiff in einem Sturm nichts so sehr verlangte wie die Sicherheit und den Frieden eines geschützten Hafens.
    »Roger…«
    »Lasst mich zufrieden!« Ich entzog mich ihrer knorrigen Hand auf meinem Arm. Ich floh vor Toms Grab, vor allem, was in jenem Kiefernhain geschehen war, unmittelbar ans andere Ende der verschneiten Wiese. Der Wind hatte aufgehört, aber es war bitterkalt. Ich zitterte und schlang die Arme um meinen Körper.
    Im Tal unter mir bewegte sich eine Armee.
    Ich konnte Pferde sehen, Männer und dann ein purpurnes Banner, aus dieser Entfernung ein dünner Faden vor dem Schnee. Durch die Schneewehen rannte ich stolpernd zurück zu Mutter Chilton. »Eine Armee! Hierher unterwegs!«
    Sie wirkte nicht überrascht. »Ah, dann sind sie einen Tag zu früh.«
    »Ihr habt es gewusst? Wer ist es?«
    »Lord Robert Hopewell.«
    »Lord Robert?« Ich hatte ihn zuletzt im Kerker des Palasts gesehen, hatte angenommen, dass er hingerichtet worden war, als Tareks Armee losgezogen war. Aber nein. Ich kannte Tarek jetzt
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