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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Autoren: Anna Kendall
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grauen Haares lugten unter ihrer Kapuze hervor. Ihr Gesicht, auf das die tanzenden Flammen Schatten warfen, war von tiefen Falten durchzogen, wie die Schluchten der Unbeanspruchten Lande. Aber ihre grauen Augen begegneten meinem Blick klar, von Mitleid erfüllt.
    Die Rehfrau auf dem Boden, die noch immer keuchte, lächelte trotzdem.
    Mutter Chilton sagte: »Roger, es hat keinen Sinn, wegen Tom den Pfad der Seelen zu betreten. Es ist zu gefährlich, und zu spät. Es tut mir leid, dass du deinen Freund verloren hast, aber das ist der Preis, den du bezahlen musst. So wie diese Frauen ihren bezahlen.«
    »Sie leben!«
    »Dafür gab es keine Gewissheit, als sie aufgebrochen sind, um zu eurer Rettung herbeizueilen.« Mutter Chilton hinkte an mir vorbei. Unter Schmerzen ließ sie sich neben Stephanie auf den Boden nieder. Ich erinnerte mich an das, was sowohl die weiße Rehfrau als auch Alysse über die Prinzessin zu mir gesagt hatten: »Sie wäre besser erschossen worden.«
    »Rührt sie nicht an!«, schrie ich.
    Mutter Chilton hielt ihren Blick auf Stephanie gerichtet, aber ihre Worte gingen an mich. »Mach dich nicht lächerlich, Roger. Stephanie hat nichts von uns zu befürchten. Die Lage ist jetzt anders. Als sie die Gefangene von Tarek war, gab es keine Möglichkeit, sie zu erreichen und ihr Talent zu beherrschen, das wir auf jeden Fall gewaltig unterschätzt haben. Jetzt ist es anders. Du hast zumindest so viel Gutes getan, sie zu mir zu bringen.«
    »Ihr hättet zu ihr gehen können!« Ich wusste kaum, was ich sagte, nur dass es mich ein wenig länger von Toms Körper ablenkte, der neben mir zu Boden gesunken war. Tom, fort, unter den Toten…
    »Nein«, sagte Mutter Chilton, »ich hätte nicht zu ihr gehen können. Ich konnte kaum hierherkommen. Ich bin jetzt sehr alt, meine Jahre wurden hingegeben, um Tom zu retten.«
    »Ihr lügt!«, schrie ich, zornig auf sie, auf die Welt. Auf beide Welten. »Ihr hättet Euch in ein… ein… was für ein Tier auch immer verwandeln können!«
    »Nicht vor den Soldaten der Wilden, das konnte ich nicht. Sie hätten uns beide sofort aus Angst vor der Hexenkunst getötet. Das war das Beste, was ich tun konnte, und es hatte seinen Preis. Alles hat einen Preis, Roger Kilbourne– wann wirst du das lernen? Diese Adepten in den Seelenkünsten zahlen den Preis für deine Rettung, genauso wie Tom ihn bezahlt hat. Um dich zu retten, haben sowohl Alysse als auch Elaine die Gestalt von Raubvögeln angenommen, was bei keiner von ihnen einer ihrer Geistpartner war. Jede von uns tut, was sie kann, und wir zahlen, was wir bezahlen müssen.«
    »Erspart mir Eure Heuchelei! Tom…«
    »Ist so sicher, wie die Toten sein können. Das Seelenrankenmoor wird ihm im Land der Toten nichts anhaben.«
    »Das könnt Ihr nicht wissen.«
    »Doch. Kann ich. Zieh daraus den Trost, den es dir spendet. Ah, der Lehrling regt sich.«
    Sie meinte Stephanie. Die Prinzessin öffnete die Augen, legte die Hand auf die Beule an ihrem Kopf, die meine Hand ihr beschert hatte, und begann zu weinen.
    »Hör auf«, sagte Mutter Chilton so scharf, dass Stephanie, die überrascht zusammenzuckte, es sofort tat. »Du bist nun ein Lehrling der Seelenkünste, mein Kind. Wir weinen nicht.«
    Jee sagte entschlossen: »Sie ist die Prinzessin des Königinnenreichs!«
    »Das auch«, stimmte Mutter Chilton zu. »Und du, Jee, bist ihr treuester Gefolgsmann.«
    Er wirkte verwirrt– vielleicht kannte er das Wort nicht–, aber seine entschlossene Haltung neben der Prinzessin veränderte sich nicht. »Meine Dame, habt Ihr es warm genug? Kommt näher ans Feuer.«
    Sie griff nach seiner Hand, aber ihr Blick lag auf Mutter Chilton. Die beiden starrten einander an, und bei diesem Blickwechsel ging etwas zwischen dem Kind und der Greisin vor, etwas, das jenseits aller Worte und meines Verständnisses lag. Es war mir gleich, worum es sich dabei handelte. Ich wandte mich wieder zu Tom.
    Er lag mit dem Gesicht auf dem Schnee, das schwache Lächeln noch auf den Lippen, seine Augen blickten auf die Kiefernzweige, sahen aber nichts. Sanft schloss ich ihm die Augen. Wie sollte ich ohne Tom zurechtkommen? Ohne seinen Mut, seinen Frohsinn, seine unendliche Energie? Ich würgte meine Schluchzer ab und wandte das Gesicht ab.
    Jees Aufmerksamkeit lag auf Stephanie genauso wie die von Mutter Chilton, und es war die Rehfrau, die sich bemühte, ihre schmale, kalte Hand in meine zu legen. Es schenkte mir keinen Trost. Ich hatte nie zuvor einen Freund gehabt,
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