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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Autoren: Anna Kendall
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Sonnenschein gewichen, der von den Schneewehen zurückgeworfen wurde und blendete. Tom, Jee, Stephanie, Alysse und die Frau, die ein weißes Reh war, waren alle fort, nur die drei toten Hisafs, halb vom Schnee bedeckt, waren übrig.

52
    Während meine Sicht sich an die winterliche Helligkeit anpasste, sah ich das Licht, das in dem Kiefernhain leuchtete, in dem ich im Land der Toten meine Schwester durch den Nebel verfolgt hatte. Ein Feuer brannte dort. Zitternd, stolpernd trottete ich darauf zu.
    Jee und Tom kauerten dicht am Feuer. Zwischen ihnen lagen Stephanie und die beiden Frauen, die auf einen Fellumhang gebettet waren; ein weiterer aus weißem Pelz lag über ihnen. Ein weißes Kaninchen, ein weißes Reh, zwei Umhänge, die aus dem Himmel fielen … Die Frauen keuchten immer noch, rangen um jeden Atemzug, die Gesichter verkniffen und aschfahl. Stephanie war immer noch von meinem Schlag bewusstlos. Aber als Jee zu mir aufblickte, waren es weder die Prinzessin noch die Frauen, von denen er sprach.
    »Tom ist verletzt.«
    »Ka…katzenpisse«, sagte Tom. »Es ist… nichts.« Er fiel auf die rechte Seite, die Linke umklammerte er fest. Sie war nass vor Blut. Das Messer des Hisafs hatte doch sein Ziel gefunden. Zwischen Toms Fingern quoll das Blut, dessen Fluss die Kälte der offenen Wiese verlangsamt haben musste, rot im Licht des Feuers hervor.
    »Tom!«
    Er holte keuchend Luft.
    »Tom, wie schlimm ist es?«
    »Schon… schlimm.«
    Ich versuchte, unter seinen blutigen Fingern und dem zerfetzten Hemd etwas zu erkennen, aber alles, was ich sehen konnte, war rot. Panisch schüttelte ich Alysse. »Hilf ihm! Hilf Tom!« Einst hatte mich Mutter Chilton von dem Gift auf Soleks Messer geheilt, hatte mir den Arm abgenommen, ohne mich zu töten, hatte mich geheilt. »Hilf ihm!«
    Sie öffnete die Augen und schien mich trotz ihres Keuchens zu verstehen. Schwach, als könnte er brechen, schüttelte sie den Kopf.
    »Aber ihr seid Heiler! Ihr könnt heilen!«
    Sie sagte etwas, das zu leise war, dass ich es hören konnte. Ich legte mein Ohr an ihren Mund, und sie wiederholte es. »Nichts… übrig…«
    Die beiden Frauen hatten keine Macht mehr übrig. Sie hatten alles aufgebraucht, um zu den ungeheuerlichen Vögeln zu werden, die uns das Leben gerettet hatten. Aber ich wollte nicht akzeptieren, dass sie Tom nicht helfen konnten. Tom, auf dessen Stärke und Treue und Mut ich mich immer wieder verlassen hatte. Ich konnte nicht ohne Tom leben.
    Ich hob meine heile Hand, ließ sie fallen, schlug Alysse auf die kalte Wange. »Hilf ihm! Tu etwas!«
    Sie tat nichts. Tom, der seine frühere Bettgefährtin nicht bemerkte, stöhnte. Sein Blick richtete sich auf mich.
    »Tom, versuch es– versuch es doch!«
    »Kann nicht.« Sein Blick ließ meinen nicht los, als könnte er sein Leben an dem eines anderen festmachen und dadurch nicht forttreiben. »Es geht zurück…«
    »Nein!«
    »Land… Toten.« Und dann, mit großer Mühe, sagte er: »Bind mich dort an einen Baum. Will… nicht…«
    »Tom!«
    »Leb wohl, George.« Da grinste er, nur einen halben Augenblick lang der alte Tom, munter und furchtlos. Dann drang ein schreckliches Rasseln aus seiner Kehle, sein Körper erbebte, und er war tot.
    Ich stieß ein gewaltiges Heulen aus. Ich hätte den Pfad der Seelen betreten, um ein paar letzte Augenblicke mit ihm zu haben, aber Jee war auf mir, sein kleines Gesicht an meines gedrückt. »Nein! Nein! Geh nicht hinüber, Roger! Sie ist dort!«
    Ich achtete nicht auf ihn. Er griff nach meinem Hemd, das immer noch halb gefroren war, und klammerte sich daran. Ich versuchte, Jee von mir zu werfen. Er klebte fest wie Kiefernharz.
    »Sie ist dort. Sie kann dich töten!«
    »Nein! Kann sie nicht!«
    »Nein! Du darfst nicht gehen!«
    »Der Junge hat recht«, sagte eine ruhige Stimme hinter mir. Ich kannte diese Stimme. Voller Kummer und Trauer und Wut wandte ich den Kopf, während Jee noch an mir hing und Tom tot auf dem schneebedeckten Boden lag, und schaute Mutter Chilton an.
    Es war nur ihre Stimme, die ich erkannte. Dies war nicht die Frau aus dem Apothekerzelt in der Hauptstadt des Königinnenreichs, nicht die von den Klippen über dem Kiesstrand, wo meine Tante Jo gestorben war. Dies war die Greisin, die Tom beschrieben hatte, die älter aussah als irgendjemand, den ich je gesehen hatte. Ihr Körper war nach vorn gebeugt, Rücken und Nacken so gekrümmt, dass sie ohne den Stab, auf den sie sich stützte, umfallen musste. Ein paar Strähnen
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