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Das laesst sich aendern

Das laesst sich aendern

Titel: Das laesst sich aendern
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Drachenschwanz basteln, und hinterher gingen wir alle auf die große Wiese im Stadtwald, die im Herbst nach feuchter Erde, Blättern und Moos duftete und auf der meistens schon mehrere Väter Drachen steigen ließen, weil sie etwas mit ihren Kindern unternehmen sollten, damit ihre Frauen ein, zwei Stunden Ruhe oder Zeit zum Kochen oder für ihre Fangopackungen hätten. Ich liebte die Wiese, im Frühling blühten Weißdornbüsche und Schlehen darauf, im Sommer Glockenblumen und Margeriten und eine Menge anderer Blumen, von denen ich nicht wusste, wie sie hießen; sie duftete nach Wald und war ein friedlicher Ort, wo man hingehen konnte, wenn man in Ruhe lesen oder nachdenken wollte; bloß im Herbst war sie samstags die Hölle, weil die Väter dort Drachen steigen ließen oder mit ihren Motorflugzeugen am Himmel Krach machten, dass man sich die Ohren zuhalten mochte, und gegen den Benzingestank kam der leise Duft der Wiese nicht an. Alle Kinder standen neben ihren Vätern herum, warteten, bis es vorbei war, und hofften, dass kein Unfall passierte und ein Flieger abstürzte. Mein Vater rannte sich die Seele aus dem Leib, bis er knallrot im Gesicht war, aber sein Drachen wollte einfach nicht fliegen, nie; irgendwann hoppelte er ein paar Meter in die Luft, dann stürzte er ab und war hin, und mein Vater wurde wütend auf uns.
    Mit euch kann man nicht einmal einen Drachen bauen, sagte er, und es war nicht ganz klar, ob man das nicht konnte, weil wir uns mit den Drachenschwanzschleifchen so ungeschickt angestellt und überhaupt zwei linke Hände hatten, oder ganz allgemein, weil wir Mädchen waren, jedenfalls war der Tisch, auf dem er den Drachen gebaut hatte, unregelmäßig mit Uhu beschichtet; am nächsten Tag würde die Putzfrau ihre Freude daran haben, und mein Vater würde eine Weile lang vergessen haben, dass Väter mit ihren Kindern etwas unternehmen sollten.
    Ich lach mich kaputt, sagte Adam, als ich ihm von unseren Drachenbastelnachmittagen erzählte, aber er sah nicht aus, als würde er die Geschichte lustig finden.
    Er war mit seiner kleinen Schwester oft am Fluss zum Drachensteigen gewesen, nachdem seine Mutter durchgeknallt war und er sich um die Kleine kümmern musste.
    Du musst dir dabei nicht die Seele aus dem Leib rennen, sagte er, im Gegenteil, du musst nur geduldig sein, auf den richtigen Moment warten, den richtigen Wind, und schon ist der Drache oben.
    Im Übrigen hatten er und seine kleine Schwester für ihre Drachenschwänze kein Krepppapier, sondern immer den Otto-Katalog genommen.
    Wir hatten keinen Otto-Katalog gehabt, weil wir nichts vom Versandhandel kauften, sondern eine Schneiderin hatten, die uns alles auf Maß nähte, und in der ersten Zeit, als Adam bei mir wohnte, merkten wir, dass es nicht nur in der Frage von Dichtung und Siphon, Krepp und Otto-Katalog in unseren Leben sehr verschieden zugegangen war, sondern dass seine Welt und meine Welt sich in fast gar keinem Bereich überschnitten oder auch nur berührten, sondern einander sehr fremd und himmelweit voneinander entfernt waren; aber immer wenn wir in der Anfangszeit seine mit meiner Welt bekannt machen wollten, wollte die eine Welt die andere gar nicht kennenlernen, sondern die Welt bleiben, die sie schon immer gewesen war, und so haben sich die Czupeks und meine Familie niemals kennengelernt und später meistens vergessen, eine Postkarte mit guten Wünschen zu schicken, wenn Anatol oder Magali Geburtstag hatten, weil unsere Kinder weder zur Czupek-Welt noch zu meiner Familie gehörten. Den Kindern fehlten diese Postkarten und die guten Wünsche natürlich nicht, weil sie es nicht anders kannten, aber Adam sagte viele Jahre lang, ist doch eigentlich zum Heulen, da haben die beiden vier Großeltern und geschlagene sechs Onkel und Tanten, und keiner schert sich was drum, dass es sie überhaupt gibt.
    Ich sagte, das ist schon ein Verhängnis. Sippenhaft.
    Das wäre noch gelacht, sagte Adam.
    Mir konnte es passieren, selbst noch in Ilmenstett, selbst als wir schon längst in unserer eigenen Welt angekommen und mit dem Basislager beschäftigt waren, dass ich die Tränen runterschlucken musste, wenn in irgendeinem dämlichen Werbespot eine als Großmutter verkleidete Frau irgendeine Dosensuppe aufwärmte oder ein älterer Mann einem Kind eine Tüte Bonbons hinhielt, aber dann erinnerte ich mich daran, dass wir keine Wahl gehabt hatten, und ich dachte, gut, dass wir keine Wahl gehabt hatten, sonst wären Anatol und Magali überhaupt nicht auf
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