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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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geht, aber er will nichts davon
wissen. Cicero sagt, wenn seine Familie es für passend
gehalten hat, einen solch sonderbaren Namen anzunehmen, muß
der erste Mann, der ihn getragen hat, recht
außergewöhnlich gewesen sein, selbst wenn sich niemand
mehr daran erinnern kann, warum. Er sagt, er will dafür
sorgen, daß der Name in ganz Rom bekannt und geachtet
wird.«
    »Stolz, wie ich
schon sagte. Aber das gilt praktisch für jede römische
Familie und bestimmt für jeden römischen Rechtsanwalt.
Davon, daß er in Rom lebt, bin ich selbstverständlich
ausgegangen. Daß die Wurzeln seiner Familie irgendwo im
Süden liegen, habe ich wegen des Namens Tullius vermutet. Ich
erinnere mich daran, ihn auf der Straße nach Pompei mehr als
einmal gehört zu haben - möglicherweise in Aquinum,
Interamna, Arpinum -«
    »Genau«,
bestätigte Tiro nickend. »Cicero hat überall in der
Gegend Verwandte. Er selbst wurde in Arpinum geboren.
«
    »Aber er hat
dort nicht länger als bis zu seinem, mhm, neunten oder zehnten
Lebensjahr gelebt.«
    »Ja - er war
acht, als seine Familie nach Rom gezogen ist. Aber woher
weißt du das?«
    Bast hatte die Jagd
nach Libellen aufgegeben und strich um meine Knöchel.
»Denk mal nach, Tiro. Mit zehn beginnt die formelle
Ausbildung eines Bürgers, und angesichts seiner Kenntnisse der
Philosophie und deiner eigenen Gelehrsamkeit vermute ich, daß
dein Herr nicht in einem verschlafenen, kleinen Nest an der
Straße nach Pompei ausgebildet worden ist. Und was die
Tatsache betrifft, daß seine Familie seit höchstens
einer Generation in Rom lebt, so bin ich davon ausgegangen, weil
mir der Name Cicero nicht bekannt ist. Hätte sie seit meiner
Jugend hier gelebt, hätte ich zumindest irgendwann einmal von
ihr gehört - und einen solchen Namen würde ich nicht
vergessen. Und was Ciceros Alter, seinen Reichtum und sein
Interesse an Rhetorik und Philosophie angeht, so läßt
sich das leicht an deiner Person ablesen, Tiro.«
    »An
mir?«
    »Ein Sklave ist
der Spiegel seines Herrn. Deine fehlende Vertrautheit mit den
Gefahren übermäßigen Weinkonsums, deine
Schüchternheit gegenüber Bethesda, all das deutet darauf
hin, daß du einem Haus dienst, in dem auf Zurückhaltung
und Anstand der größte Wert gelegt wird. Diese
Atmosphäre kann nur der Herr selbst schaffen. Cicero ist
offensichtlich ein Mann von rigiden Moralvorstellungen. Das
wiederum könnte auf rein römische Tugenden hinweisen,
aber deine Bemerkung über die Mäßigung in allen
Dingen läßt eine Wertschätzung griechischer
Tugenden und griechischer Philosophie erahnen. Außerdem wird
im Haus Ciceros viel Wert auf Grammatik, Sprach- und Redekunst
gelegt. Ich wage zu bezweifeln, daß du je selbst formell in
einer dieser Disziplinen unterrichtet worden bist, aber ein Sklave
kann sich sehr viel dadurch aneignen, daß er
regelmäßig mit diesen Dingen in Berührung kommt.
Darauf deuten deine Art zu reden, deine Manieren und deine
gepflegte Stimme hin. Cicero hat ganz offensichtlich lange und
fleißig an den Rednerschulen studiert. 
    Was zusammen genommen
nur eins bedeuten kann: Er möchte Anwalt werden und Fälle
vor der Rostra präsentieren. Das hätte ich schon daraus
geschlossen, daß du überhaupt zu mir gekommen bist, um
meine Dienste zu erbitten. Die meisten meiner Klienten - zumindest
die anständigen -sind entweder Politiker oder
Rechtsanwälte oder beides.«
    Tiro nickte.
»Aber du wußtest auch, daß Cicero jung ist und
noch am Anfang seiner Karriere steht.«
    »Ja. Nun, wenn
er ein etablierter Anwalt wäre, hätte ich schon von ihm
gehört. Wie viele Fälle hat er
vertreten?«
    »Nur
einen«, räumte Tiro ein, »und nichts, wovon du
etwas gehört hättest - eine einfache
Partnerschaftssache.«
    »Was seine
Jugend und Unerfahrenheit nur bestätigt. Genau wie die
Tatsache, daß er dich überhaupt geschickt hat.
Könnte man sagen, daß du Ciceros
verläßlichster Sklave bist? Sein
Lieblingsdiener?«
    »Sein
persönlicher Sekretär. Ich bin schon mein ganzes Leben
lang bei ihm.«
    »Hast seine
Bücher zu den Unterrichtsstunden getragen, ihn in Grammatik
abgefragt, seine Unterlagen für seinen ersten Fall vor der
Rostra vorbereitet.«
    »Genau.«
    »Dann
gehörst du nicht zu der Sorte Sklave, wie sie die meisten
Advokaten losschicken würden, wenn sie die Dienste von
Gordianus dem Sucher bemühen wollen. Nur ein Grünschnabel
von einem Anwalt, dem die allgemeinen Gepflogenheiten
peinlicherweise unbekannt sind, würde sich die Mühe
machen,
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