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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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fühle mich bereits besser, nachdem ich
aufgefordert war, den Mechanismus dieser Heilmethode zu
erklären. Und ich gehe davon aus, daß ich in ein paar
Minuten völlig kuriert sein werde, nachdem ich dir
erklärt habe, weswegen du zu mir gekommen
bist.«
    Tiro lächelte
vorsichtig. »Ich fürchte, das Mittel versagt,
Herr.«
    »Ach?«
    »Du hast die
Pronomen durcheinandergebracht, Herr. Ich bin derjenige, der zu
erklären hat, warum ich zu dir gekommen bin.«
    »Ganz im
Gegenteil. Es stimmt wohl, wie du in meinem Gesichtsausdruck
gelesen hast, daß ich noch nie zuvor von deinem Herrn
gehört habe - wie war noch der Name, Marcus irgendwas Cicero?
Ein völlig Fremder. Nichtsdestoweniger kann ich dir ein paar
Dinge über ihn erzählen.« Ich machte eine Pause,
lange genug, um mich der vollen Aufmerksamkeit des Jungen zu
vergewissern. »Er stammt aus einer stolzen Familie, ein
Charakterzug, der auch bei ihm voll ausgeprägt ist. Er lebt in
Rom, aber seine Familie stammt ursprünglich nicht von hier,
sondern möglicherweise aus dem Süden und wohnt seit
höchstens einer Generation in der Stadt. Sie sind mehr als
wohlhabend, aber nicht unermeßlich reich. Liege ich soweit
richtig?«
    Tiro beäugte mich
mißtrauisch. »Soweit schon.«
    »Dieser Cicero
ist ein junger Mann deines Alters, vermutlich ein wenig älter
als du. Er ist ein eifriger Student der Redekunst und bis zu einem
gewissen Maße Anhänger der griechischen Philosophen.
Wohl kein Epikuräer, sondern eher ein Stoiker, wenngleich kein
strikter. Korrekt?«
    »Ja.« Tiro
machte zunehmend den Eindruck, als sei ihm nicht wohl in seiner
Haut.
    »Was den Grund
deines Kommens angeht, du bist hier, um dich meiner Dienste zu
vergewissern in einem Rechtsstreit, den dieser Cicero vor die
Rostra bringen will. Cicero ist ein Anwalt, der gerade am Anfang
seiner Karriere steht. Trotzdem ist dies ein wichtiger Fall, und
ein komplizierter dazu. Meine Dienste empfohlen hat wahrscheinlich
der bedeutendste aller römischen Anwälte. Hortensius,
natürlich.«
    »Na...türlich«,
hauchte Tiro, kaum mehr flüsternd. Seine Augen waren
zusammengekniffen, sein Mund stand sperrangelweit offen.
»Aber woher kannst du -«
    »Und der
spezielle Fall? Wahrscheinlich ein Mord...«
    Tiro starrte mich mit
unverhohlenem Erstaunen von der Seite an.
    »Und nicht
bloß ein Mord. Nein, schlimmer als das. Viel
schlimmer...«
    »Ein
Trick«, flüsterte Tiro. Er wandte seinen Blick ab, den
Kopf heftig zur Seite reißend, als bedürfe es einer
großen Anstrengung, seine Augen von meinen loszureißen.
»Das machst du irgendwie, indem du mir in die Augen blickst.
Magie...«
    Ich preßte die
Fingerspitzen gegen die Schläfen, die Ellenbogen ausgestreckt
- zum Teil, um den Druck und das Pochen hinter meiner Stirn zu
lindern, aber auch um die theatralische Pose eines Sehers zu
imitieren. »Ein ruchloses Verbrechen«, flüsterte
ich. »Abscheulich. Unaussprechlich. Ein Sohn, der seinen
eigenen Vater tötet. Vatermord!«
    Ich ließ meine
Schläfen los und sank in meinen Stuhl zurück. Ich sah
meinem jungen Gast direkt in die Augen. »Du, Tiro aus dem
Haus des Marcus Tullius Cicero, bist gekommen, um meine Dienste zur
Unterstützung deines Herrn bei der Verteidigung eines gewissen
Sextus Roscius aus Ameria zu erbitten, der angeklagt ist, seinen
Vater, dessen Namen er trägt, ermordet zu haben. Und siehe da
- mein Kater ist völlig verschwunden.«
    Tiro blinzelte. Und
blinzelte noch einmal. Er lehnte sich zurück und fuhr mit dem
Zeigefinger über seine Oberlippe, die Stirn nachdenklich
gerunzelt. »Es ist ein Trick, nicht wahr?«
    Ich schenkte ihm das
dünnste Lächeln, dessen ich fähig war. »Warum?
Glaubst du, ich sei nicht in der Lage, deine Gedanken zu
lesen?«
    »Cicero sagt, so
etwas wie Gedankenlesen oder das zweite Gesicht oder die Zukunft
Vorhersagen gibt es nicht. Er sagt, alle Seher und Zeichendeuter
und Orakel seien schlimmstenfalls Scharlatane, bestenfalls
Schauspieler, die die Leichtgläubigkeit der Masse
ausnutzen.«
    »Und du glaubst
alles, was dein Herr Cicero sagt?« Tiro errötete erneut.
Bevor er etwas sagen konnte, hob ich die Hand. »Schweig. Ich
würde dich nie auffordern, etwas gegen deinen Herrn zu sagen.
Aber sag mir dies: Hat Marcus Tullius Cicero je das Orakel in
Delphi besucht? Hat er den Schrein der Magna Mater in Ephesus
gesehen und die Milch gekostet, die aus ihren marmornen
Brüsten fließt? Hat er in der Stille der Nacht die
großen Pyramiden bestiegen und der Stimme des durch
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