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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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die alten
Gemäuer wehenden Windes gelauscht?«
    »Nein, ich
glaube nicht.« Tiro senkte den Blick. »Cicero hat
Italien nie verlassen.«
    »Aber ich,
junger Mann.« Einen Moment lang verlor ich mich in meinen
Gedanken, unfähig, mich loszureißen von der Flut der
Anblicke, Klänge und Gerüche aus der Vergangenheit. Ich
sah mich im Garten um und erkannte auf einmal, wie schäbig er
in Wahrheit war. Ich starrte auf das Frühstück, und mir
wurde plötzlich klar, wie trocken und fade das Brot, wie sauer
der Käse schmeckte. Ich betrachtete Tiro, erinnerte mich
daran, wer er war, und kam mir dumm vor, soviel Energie aufgewendet
zu haben, einen einfachen Sklaven zu beeindrucken.
    »Ich habe all
diese Dinge getan und all diese Orte gesehen.
    Trotzdem bin ich in
vielerlei Hinsicht vermutlich ein noch größerer Zweifler
als dein skeptischer Herr. Ja, es ist nur ein Trick. Eine schlichte
Frage der Logik.«
    »Aber wie kann
schlichte Logik neues Wissen hervorbringen? Du hast gesagt,
daß du vor meinem Besuch noch nie von Cicero gehört
hast. Ich habe dir nichts von ihm erzählt, und doch kannst du
mir genau sagen, warum ich gekommen bin. Es ist, als würdest
du Münzen aus der Luft zaubern. Wie kann man etwas aus dem
Nichts schaffen? Oder die Wahrheit ohne jeden Hinweis
offenbaren?«
    »Darum geht es
nicht, Tiro. Aber das kannst du nicht wissen. Ich bin sicher, du
läßt dir in logischem Denken so schnell von keinem was
vormachen. Das Problem liegt in der Art von Logik, wie sie von
römischen Rhetorikern gelehrt wird. Uralte Fälle noch
einmal verhandeln, uralte Schlachten noch einmal schlagen, das
Auswendiglernen von Gesetzen und Grammatik, und alles stets mit dem
Ziel, das Recht zugunsten des eigenen Klienten zu beugen, ohne auf
recht oder unrecht oder auf oben und unten zu achten. Gerissenheit
hat die Weisheit ersetzt. Der Sieg rechtfertigt jedes Mittel.
Selbst die Griechen haben das Denken verlernt.«
    »Wenn es nur ein
Trick ist, verrate mir, wie es gemacht wird.«
    Ich lachte und nahm
ein Stück Käse. »Wenn ich es dir erkläre,
wirst du weniger Respekt vor mir haben, als wenn ich es für
mich behalte.«
    Tiro runzelte die
Stirn. »Ich finde, du solltest es mir sagen, Herr. Wie sollte
ich mich sonst kurieren für den Fall, daß ich einmal in
die glückliche Lage komme, einen Kater zu haben?« Ein
Lächeln zeigte sich unter der gerunzelten Stirn. Auch Tiro
hatte ein paar Posen auf Lager, die nicht weniger beeindruckend
waren als Bethesdas. Oder meine.
    »Also
gut.« Ich stand auf, streckte meine Arme in die Höhe und
war überrascht, die heiße Sonne auf ihnen zu
spüren, so sengend, als hätte ich meine Hände in
kochendheißes Wasser getaucht. Mittlerweile lag der halbe
Garten im Sonnenlicht. »Wir werden ein wenig auf und ab
wandeln, solange es noch kühl ist. Bethesda! Ich werde meine
Schlußfolgerungen erläutern, Bethesda wird das
Frühstück abräumen - Bethesda! -, und alles wird
wieder in Ordnung
sein.«      
    Wir gingen langsam um
den Teich herum. Am anderen Ufer lauerte Bast, die Katze, den
Libellen auf, ihr schwarzer Schwanz glänzte in der
Sonne.
    »Also, woher
weiß ich, was ich über Marcus Tullius Cicero weiß?
Ich sagte, er stamme aus einer stolzen Familie. Das ergibt sich aus
dem Namen. Nicht aus dem Familiennamen Tullius, den ich schon
einmal gehört habe, sondern aus dem Beinamen Cicero. Der
dritte Name eines römischen Bürgers kennzeichnet
normalerweise den Zweig einer Familie -in diesem Fall den Zweig der
Cicero aus der Tullius-Familie. Oder, falls kein Familienzweig
dieses Namens existiert, auch eine einzelne Person, wobei damit
für gewöhnlich eine charakteristische
Äußerlichkeit benannt wird. Naso für einen Mann mit
einer großen Nase, oder Sulla, der Name unseres
geschätzten und ehrenwerten Diktators, der sich auf seine
blühende Gesichtsfarbe bezieht. So oder so ist Cicero ein
höchst seltsam klingender Name. Das Wort bezieht sich auf die
verbreitete Kichererbse und ist auf eine Person angewandt wohl kaum
schmeichelhaft gemeint. Wie verhält sich die Sache bei deinem
Herrn?«
    »Cicero ist ein
alter Familienname. Man sagt, er stammt von einem Vorfahren, der
einen häßlichen, in der Mitte wie eine Kichererbse
gespaltenen Knubbel auf der Nasenspitze hatte. Du hast recht, es
klingt wirklich merkwürdig, obwohl ich mich so daran
gewöhnt habe, daß es mir kaum noch auffällt. Einige
Freunde meines Herrn meinen, er sollte den Namen ablegen, wenn er
in die Politik oder die Juristerei
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