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Das Kuckucksei

Das Kuckucksei

Titel: Das Kuckucksei
Autoren: C.J. Cherryh
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ihm vielleicht einen Klaps geben, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Dorn konnte das ertragen. Nichts war beständig, nichts blieb für immer bestehen. Wie Dorn keine Vergangenheit hatte, so fehlte ihm auch eine echte Zukunft, und er glaubte, daß nichts ihm für immer im Weg stehen würde.
    Für Dorn gab es kein es geht nicht . Duun hatte es ihm so beigebracht.
    »Ich bitte dich nicht«, sagte Duun und hielt einen Finger seiner rechten Hand hoch. »Ich sage dir etwas. Ich will, daß du es glaubst. Wirst du diese Dinge jemals in die Hand nehmen, wenn ich dir sage, daß du es nicht darfst?«
    Von kindlicher Erregung, vom Spiel zur Verblüffung. Dorn zog vor Sorge die Stirn krampfhaft in Falten. Würde Duun sein Versprechen brechen? Zog er ihn auf?
    Duun nahm den Umhang ab und ließ ihn hinter sich fallen. Er hob die Wer auf, eine mittlere Klinge. Er streckte den nackten linken Arm aus, ballte die Faust und legte das Messer an den Unterarm.
    »Nein!« schrie Dorn plötzlich. Ein Spiel? Eine Drohung?
    Hatte er etwas falsch gemacht? Neckte Duun ihn?
    Duun drückte langsam die Klinge nach unten, tief in den Arm. Blut spritzte heraus und fiel in regelmäßigen, dicken Tropfen auf die Waffen und die Decke. Er hielt die Faust geballt und den Arm ruhig, ließ den Messergriff auf dem Knie ruhen. Dorn sah ihm mit aufgerissenen Augen zu; der Mund des Kindes stand offen, ohne daß ein Laut herausdrang.
    »Dazu sind Waffen da«, erklärte Duun. Das Blut strömte, durchnäßte die Decke. »Jedesmal, wenn du sie aufnimmst, erinnere dich daran, wozu sie da sind.«
    »Halt es auf!« schrie Dorn. »Duun, halt das Blut auf!«
    Duun streckte das Messer aus, während der verletzte Arm immer noch spritzte. Er drehte es mit der verstümmelten Hand und bot Dorn den Griff an. »Kannst du das auch?«
    Dorn ergriff das blutige Messer. Seine Augen blieben geweitet. Er preßte die Lippen zusammen, stülpte sie nach innen. Er streckte die geballte Faust aus und setzte sich das Messer an die Haut. Er drückte die Klinge nach unten, wie Duun es getan hatte, und sein Gesicht war rot und Tränen strömten ihm aus den Augen; seine Nasenlöcher und Lippen wurden blaß. Er drückte das Messer nach unten. Blut tropfte. Dann zog er die kleine Hand zurück, und das Messer zuckte mit dem konvulsivischen Zittern des Messerarms, das jetzt auch auf den anderen übergriff. Duuns Beispiel folgend legte Dorn die Messerhand auf das Knie, und sein Gesicht war jetzt ganz bleich und feucht, während das Blut herabfloß und einen zweiten Fleck auf der Decke erzeugte.
    So, so. Duun hatte erwartet, daß Dorn im letzten Moment zurückwich. Sein Kopf wurde leicht. Sein Schnitt war tiefer und blutete stark. Er streckte die Hand aus und nahm das Messer zurück. Er sah den Schrecken in dem Kind. (Was sonst noch, Duun? Was jetzt? Schlimmeres? Ich habe Angst, Duun!)
    »Das ist kein Spiel«, sagte Duun. Er legte das Messer hin und drückte die rechte Hand auf die Wunde. »Du kannst das Blut aufhalten. Fest drücken!« Er erhob sich aus der Sitzhaltung mit gekreuzten Beinen, ohne eine Hand zu Hilfe zu nehmen. Er ging zur Medtasche, öffnete sie und drückte sich einen Verschlußfilm auf die Wunde. Er kehrte mit dem Gel zu Dorn zurück, drückte ihm auch einen Film auf den Arm und hielt ihn, wärmte ihn mit der Hand, bis er hielt, weich und vom Blut gerötet, auf einer Wunde, von der eine Narbe bleiben würde. Duun hielt den Arm. Die fremden Augen sahen zu ihm auf, weiß und rund. Sein Griff war zärtlich. »Du wirst es nicht vergessen«, meinte Duun. »Du wirst nie mehr vergessen, was Waffen sind. Du wirst sie niemals in die Hand nehmen, wenn ich dir gesagt habe, daß du es nicht tun sollst.«
    »Nein.« Eine leise, schwache Stimme.
    »Du wirst sie gebrauchen, wenn ich es sage. Und du wirst sie niederlegen, wenn ich es sage.«
    »Ja.«
    »Gut.« Er griff mit der blutbefleckten, verstümmelten Hand an Dorns Nacken und packte ihn fest, rieb ihn, bis sich die Spannung löste und Dorns Körper dieser Bewegung folgte, während die Augen des Jungen auf Duun gerichtet blieben. »Glaub mir, Dorn. Glaub mir. Jetzt tut es dir weh. Aber du hast getan, was ich forderte, und das war tapfer.«
    Muskeln in Dorns Gesicht zitterten, wie in strengem Frost. Seine Glieder bebten konvulsivisch, wurden dann aber ruhig. Duun fuhr mit der Massage fort, bis das Zittern ganz aufhörte. Der gehetzte Ausdruck verschwand aus Dorns Augen. Sie waren geweitet und feucht durch Vorbedacht und Berechnung.
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