Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
Vom Netzwerk:
Zinsen wieder Zinsen tragen sollen, ist nichtig.
    Allerdings gibt es Ausnahmen. So können Guthabenzinsen gutgeschrieben und weiter verzinst werden. Daher konnte sich der Mann aus unserem Ausgangsfall im Endeffekt auch an der Auszahlung von 300 000 Euro bei einer ursprünglichen Anlagesumme in Höhe von 54 000 Euro erfreuen. Ferner ist die Emission einer abgezinsten Anleihe (auch Zerobond genannt) möglich, bei der man beispielsweise 80 Euro einzahlt und am Ende der Laufzeit 100 Euro zurückerhält. In der Differenz von 20 Euro stecken Zinsen und Zinseszinsen. Diese Zerobonds sind in Finanzkreisen unter anderem deswegen sehr beliebt, weil man mit ihrer Hilfe Produkte mit → Kapitalgarantie konstruieren kann. Und zu guter Letzt sind Zinseszinsen teilweise auch dann erlaubt, wenn sie dem Kunden zum Nachteil gereichen, wenn er sie also im Zusammenhang mit einer Kreditaufnahme berappen muss: Bei einem Girokonto dürfen die in der Quartalsabrechnung für eine Kontoüberziehung ermittelten Sollzinsen dem Sollsaldo belastet werden; auf den dadurch erhöhten Sollsaldo fallen im nächsten Quartal weiterhin (Zinses-)Zinsen an, sofern das Konto nicht ins Haben kommt.
    Über das Problem von Zinsen und Zinseszinsen sind unzählige Bücher und philosophisch-theologische Abhandlungen verfasst worden. Ein regelrechtes Zinsverbot finden wir im Alten Testament und im Koran. So heißt es beispielsweise in Levitikus 25, 36–37: »Nimm von ihm ( deinem Bruder, Anm. d. Verf.) keinen Zins und Wucher!« Der Koran sagt in Sure 3, Vers 130: »Ihr Gläubigen! Verschlingt nicht die Zinsen in mehrfacher Verdoppelung, sondern fürchtet Allah!«
    Im Zins- beziehungsweise Zinseszinsverbot spiegelt sich grundsätzliche Kritik am Kapitalismus wider. Zinsen und Wucher werden im Prinzip gleichgesetzt. Das wird auch in den genannten Zitaten aus der Bibel und dem Koran deutlich. Man soll keinen Zins und Wucher nehmen; und eine »mehrfache Verdoppelung« von Zinsen kommt ebenfalls dem Wucher gleich. Die Frage ist jedoch, ob Zinsen generell schlecht sind.
    In unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung werden die Begriffe Zins und Wucher getrennt. Zinsen sind grundsätzlich nicht zu beanstanden; wer über Geldkapital verfügt und vorerst auf Konsum verzichtet, soll durch eine Zinszahlung belohnt werden, wenn er das Kapital einem anderen überlässt. Die Ausnutzung einer Zwangslage oder Drohgebärden zwecks Durchsetzung höherer Zinsansprüche sind hingegen verboten. Im »Wucherparagrafen« 138, Absatz 2 BGB heißt es:
    Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
    Wann ein »Missverhältnis« vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Bei einem Kredithai, der seinem verzweifelten Kunden einen Jahreszinssatz von 40 Prozent in Rechnung stellt, ist die Sache ziemlich eindeutig. Aber was ist mit der biederen Bank oder Sparkasse, die sich zurzeit quasi unbegrenzt Geld bei der EZB (→ Europäische Zentralbank ) zu 0,50 Prozent besorgen kann und ihrem Privatkunden einen Zinssatz von 18 Prozent in Rechnung stellt, wenn dieser sein Konto überziehen muss (vgl. dazu → Tender )?

Zyniker am Werk
    Im März 2012 hatte Greg Smith, Top-Manager bei Goldman Sachs, die Nase voll. Nach zwölf Jahren Dienst bei einer der größten Investmentbanken reichte er seine Kündigung ein. Und nicht nur das – gleichzeitig veröffentlichte er in der New York Times einen Brandbrief. Why I Am Leaving Goldman Sachs ist eine harte Abrechnung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, den er als destruktiv und moralisch verrottet bezeichnet. Kunden würden als »Muppets« verunglimpft; im täglichen Geschäftsbetrieb gehe es nur noch darum, Produkte zu verkaufen, die man dringend loswerden müsse oder die den höchsten Ertrag für das Bankhaus abwerfen würden. (Ausführlicher schildert Smith seine Erfahrungen in seinem Buch Die Unersättlichen. )
    Den englischen Begriff muppet kann man mit Depp oder Blödmann übersetzen. Er weckt Assoziationen zur Muppet Show , eine erfolgreiche Fernseh-Comedyshow, die in mehr als 100 Ländern ausgestrahlt wurde. Man erinnert sich vielleicht an Kermit, den Frosch, Miss Piggy oder die beiden krakeelenden alten Herren Statler und Waldorf, die aus einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher