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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
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Jahren wurde Ulrich Cartellieri, damals Vorstandsmitglied der Deutschen Bank mit dem Satz bekannt: »Die Banken sind die Stahlindustrie der neunziger Jahre.« Die Unternehmen der Stahlindustrie hatten zuvor heftige Einbrüche erleben müssen. Cartellieri prophezeite seiner Branche eine ähnliche Entwicklung. Er irrte, weil er nicht einkalkuliert hatte, dass die Branche, mit Unterstützung des Politik-Mainstreams, die große deregulierte Geldmaschine anwerfen würde. Inzwischen haben die fast alltäglich gewordenen Finanzkrisen die Absurdität dieses finanziellen Perpetuum mobile deutlich gemacht. Der Bankensektor kann nur überleben, wenn seine Gelder wieder verstärkt in realökonomische Verwendungszwecke fließen. Das → Investmentbanking hat vor diesem Hintergrund keine Existenzberechtigung mehr. Es ist besser, Investmentbanken beziehungsweise die Investmentabteilungen der großen Finanzinstitute abzuwickeln, als weitere existenzbedrohende Finanzkrisen in Kauf zu nehmen. Die Eigenkapitalanforderungen bei Banken sind weit über das Maß der bisherigen Basel-Regelungen zu erhöhen (vgl. → Eigenkapital und seine Rendite ). Spekulationsgeschäfte müssen reguliert und dort, wo sie undurchschaubar und unkalkulierbar sind, schlicht verboten werden. Der Reiz wettbasierten Agierens lässt sich ganz einfach durch Einführung einer Finanztransaktionssteuer (vgl. → Tobin-Steuer ) spürbar verringern. Ferner muss eine zielgerichtete Abwicklung maroder Banken möglich sein, bei der in erster Linie die Aktionäre und nachfolgend alle Großgläubiger (also andere Banken, aber auch vermögende Privatkunden) für die entstehenden Verluste geradestehen.
    Die Politik ist jedoch nicht nur im Hinblick auf eine konsequente Regulierung des Bankensektors gefordert. Zunächst einmal geht es um die Wiederherstellung gerechter Einkommensbedingungen – durch Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns sowie durch Sozialversicherungsbeiträge, die nach sozialen Gesichtspunkten gestaltet sind. In den bisherigen Sozialversicherungssystemen schultern Geringverdiener gegenüber Gutverdienern eine überproportional hohe Belastung. Das kann man, wenn man will, relativ leicht ändern, zum Beispiel durch eine kräftige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen. So kann beispielsweise ein echtes Solidarsystem in der gesetzlichen Rentenversicherung dem unter der Flagge »private kapitalgedeckte Altersvorsorge« segelnden staatlichen Subventionsprogramm für Banken und Versicherungen (vgl. → Riester und Rürup ) das Wasser abgraben.
    Zweitens wird der Staat sich darauf besinnen müssen, dass sein Haushalt auch eine Einnahmenseite hat. Das ewige Mantra vom »Sparen«, von »Sparanstrengungen« und »Haushaltskonsolidierungen« ist abzulösen durch eine Diskussion, die sich mit der Schaffung von Steuergerechtigkeit befasst. Irgendwann wird (hoffentlich) auch mal das Geschrei nach Steuersenkungen verstummen. Denn dieses Geschrei ist höchst unredlich. Man beruft sich auf die fleißigen, ehrlichen Mittelstandsfamilien – und meint im Grunde genommen die Privilegierten. Sie sind es, die in erster Linie von Steuersenkungen profitieren. Gerade den besonders Privilegierten muss eine höhere Steuerlast zugemutet werden, was einem modernen und gerechten Staatsverständnis entspricht. Dies gilt nicht nur für Spitzensteuersätze in Einkommensregionen von mehreren Hunderttausend Euro jährlich und für Abgaben auf Vermögenswerte im Millionenbereich. Auch in der Steuersystematik sind Änderungen notwendig, vor allem hinsichtlich der Ungleichbehandlung bei der Versteuerung von Kapitaleinkünften im Verhältnis zur Steuerlast auf andere Einkünfte (vgl. → Jubel ). Durch die Schaffung von Steuergerechtigkeit lassen sich dann auch die Staatsschulden reduzieren. Hinter jeder → Staatsverschuldung stehen Gläubiger, und hierbei handelt es sich häufig just um jene Millionäre und Geldvermögensbesitzer, denen zuvor Steuern erlassen wurden.
    Strukturwandel in der Bankenlandschaft, flankiert durch verstärkte Regulierung, sowie ein Umdenken des Staates in Bezug auf seine Sozial- und Einnahmenpolitik, sind die Eckpfeiler des einzuschlagenden Weges, der uns weg von permanenten Finanzkrisen und hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führen kann. Diese Eckpfeiler stellen lediglich ein grobes Raster dar; der Weg selber muss mit vielen kleinen Steinchen, sprich: Einzelmaßnahmen, gepflastert werden.
    Es wird sich jedoch auch weiterhin nichts bewegen, wenn es uns
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