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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
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bereit wären, Anteile der Kunden, die ausgestiegen sind, zu übernehmen. Diese anderen Personen würden bei der Anteilsübernahme weitere Gebühren in die Kasse spülen.
    Bei einem Zertifikat sammelt ein Emittent Kundengelder ein und verbrieft das Ganze durch eine Schuldverschreibung. Die Gelder werden spekulativ angelegt, in Aktien oder auch Indizes (→ Index ), die die Entwicklung von Wertpapier-, Gold-, Rohstoff- oder Nahrungsmittelpreisen abbilden. Irgendein Restrisiko bleibt für den Kunden immer; auch bei sogenannten »konservativen Zertifikatstypen«. Denn in allen Zertifikaten tauchen, mehr oder weniger versteckt, → Derivate auf. Nicht in jedem Fall ist die Konstruktion so simpel wie in unseren Beispielen. (Friedhelm W. hat übrigens ein Outperformance-, Frieda K. ein Discountzertifikat gebastelt. Weitere Zertifikatstypen wurden bereits in den Abschnitten → Aktienanleihe , → knock out und → WAVEs beschrieben.) Und je komplizierter ein Zertifikat ist, desto besser lassen sich die vom Kunden zu tragenden und dem Emittenten zufließenden Kosten verstecken.
    Gerade in Deutschland sind Zertifikate, ungeachtet aller Einbrüche durch Finanzkrisen und trotz der Lehman-Pleite, nach wie vor sehr beliebt, auch und gerade bei Privatanlegern. Man kann da auch sehr schön die vielen eher risikoscheuen Kunden ansprechen, indem man eine → Kapitalgarantie einbaut. Auch diese ist jedoch, wie wir in dem entsprechenden Abschnitt gesehen haben, Augenwischerei. Der Riesenerfolg beim Absatz von Zertifikaten in Deutschland ist jedenfalls verblüffend. Wir vereinigen mehr von diesen Produkten auf uns als der Rest der Welt. Möglicherweise liegt das daran, dass die Deutschen in puncto Aktienanlagen immer noch sehr zurückhaltend sind. Zertifikate sind Schuldverschreibungen, hinter denen in der Regel eine große, bekannte Bank steht. Das klingt für viele immer noch im Prinzip recht solide. Und ein kleines bisschen Zockerei kann ja auch nicht schaden …
    Jedenfalls hat sich die Zertifikatemasche für die Finanzindustrie als ein äußerst lukratives Geschäftsmodell erwiesen. Risiken werden auf die Kunden verlagert, und der Emittent verdient an der Konstruktion der Papiere sowie am Handel mit den Papieren.
    Nach Angaben der Deutschen Bundesbank (Monatsbericht September 2012) entfielen 2011 insgesamt 96 Prozent der Erträge deutscher Kreditinstitute auf das Zins- und Provisionsgeschäft. Während der Zinsüberschuss in den Bankbilanzen um 0,8 Prozent auf 91 Milliarden Euro zurückging, nahm der Provisionsüberschuss um 0,6 Prozent auf 29 Milliarden Euro zu. Kein Wunder, dass die Finanzbranche angesichts der großen Bedeutung des Provisionsgeschäftes ein virulentes Interesse daran hat, das provisionsträchtige Zertifikatskarussell stets gut geölt laufen zu lassen.

Zinseszinsen und Zinsverbot
    Die Überraschung war groß. Das Sparbuch, das ein Mann nach dem Tod seiner Mutter in deren Wohnung fand, wies ein Guthaben von 106 000 DM auf. Zinsgutschriften und weitere Zahlungsvorgänge waren nicht dokumentiert. Der etliche Jahre zuvor verstorbene Vater des Mannes hatte das Sparkonto im Jahr 1959 kurz nach der Geburt seines Sohnes in einer Filiale der Dresdner Bank eröffnet. Jetzt marschierte der Sohn mit seinem Fund zur Bank und wollte sich das Guthaben inklusive aufgelaufener Zinsen und Zinseszinsen auszahlen lassen.
    Man wies ihn ab. Da könne ja jeder kommen, sagte man ihm. Das Konto werde im Hause nicht geführt. Es sei ja auch undenkbar, dass bei einer so hohen Summe 50 Jahre lang keine einzige Kontobewegung stattgefunden haben sollte. Das Sparbuch sei daher eine Fälschung.
    Der Sohn ließ sich nicht beirren. Ein hinzugezogener Sachverständiger bescheinigte die Echtheit der Sparurkunde. Die Dresdner Bank wurde also zur Auszahlung verpflichtet. Daraufhin ging die Bank in die nächste Instanz. Inzwischen nannte sie sich Commerzbank, an der Hartnäckigkeit in Bezug auf die Verweigerung der Auszahlung änderte sich nichts. Jetzt ging man davon aus, dass die Unterschriften, welche die Entgegennahme der Einzahlungssumme dokumentierten, von Personen stammten, die niemals eine Zeichnungsberechtigung aufgewiesen hatten. Aber auch die zweite Instanz sah die Bank in der Pflicht. Es sei ihre Aufgabe, einen Beweis für die Behauptung einer fehlenden beziehungsweise nicht vorhandenen Zeichnungsberechtigung zu erbringen. Ein solcher Beweis lag nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Auch im Hinblick auf zwischenzeitliche Auszahlungen
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