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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
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aufnehmen möchte er nicht. Aber er hat eine Idee.
    Eine Kaufoption (→ call ) auf Y-Aktien zum Basispreis von 40 Euro und einer Laufzeit von drei Monaten (also das Recht, innerhalb der nächsten drei Monate die Y-Aktie zu 40 Euro kaufen zu dürfen) kostet aktuell 2 Euro 12 . Dieser Betrag ist just so hoch wie die in drei Wochen von der Hauptversammlung des Unternehmens zu beschließende Dividende. Herr W. kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, in drei Wochen 700 Euro als Zahlungseingang verbuchen zu können (350 Aktien * 2 Euro Dividende je Aktie = 700 Euro). Er überzieht nun bereits heute für drei Wochen sein Konto um 700 Euro und erwirbt für diesen Geldbetrag 350 Kaufoptionen (eine Option kostet ja ebenfalls 2 Euro). Der Sollsaldo auf dem Konto wird dann nach Eingang der Dividende ausgeglichen, die Überziehungszinsen für drei Wochen kann Herr W. locker kompensieren, wenn der Kurs der Y-Aktie wunschgemäß nach oben geht. Im schlimmsten Fall – bei stark sinkendem Aktienkurs – verzichtet er auf die Ausübung der Option. Die ist dann wertlos; er hat somit auf seine Dividende verzichtet und muss zudem die Überziehungszinsen schultern, aber dieses Risiko ist für ihn überschaubar. Die Gewinnchance schätzt er wesentlich höher ein. Bei steigendem Kurs der Y-Aktie profitiert er gleich doppelt – über die Wertsteigerung seines Depots und zusätzlich durch den Wertzuwachs bei der Option.
    Um auf eine solche Idee zu kommen, muss man schon ein recht ausgebuffter Börsenprofi sein. Auch Frieda K. hält sich für einen solchen.
    Ihr Konzept unterscheidet sich von Friedhelms Plan, weil sie nicht so felsenfest wie er vom Erfolg der Y-AG überzeugt ist. Gleichwohl traut sie der Gesellschaft mittelfristig etwas zu, sie rechnet in den kommenden drei Monaten jedoch eher mit einer »Seitwärtsbewegung«: Ihrer Meinung nach wird der Kurs der Y-Aktie in dieser Zeit bei etwa 40 Euro verharren oder auch nur leicht ansteigen.
    Frieda K. erwirbt Anfang Mai 200 Y-Aktien, jedoch zum Discount-Preis. Sie verkauft nämlich gleichzeitig eine Kaufoption (→ call ) auf die Y-Aktie, Basispreis 42 Euro, Laufzeit drei Monate (also das Recht, innerhalb der nächsten drei Monate die Y-Aktie zu 42 Euro verkaufen zu dürfen). Diese Option hat derzeit einen Wert von 1,60 EUR. Den Optionspreis kassiert Frieda als Verkäuferin der Option, und hieraus ergibt sich der Discount-Preis, weil sie nicht 40 Euro, sondern nur 38,40 Euro an finanziellen Mitteln für die Aktie aufwenden muss. Dafür hat sie einem (unbekannten) Vertragspartner das Recht überlassen, ihm die Y-Aktie innerhalb der nächsten drei Monate zum Preis von 42 Euro zu überlassen, falls er das wünscht. Der Partner erwartet somit einen deutlich steigenden Aktienkurs. Frieda K. weiß nun, dass sie sich im Fall einer von ihr erwarteten Seitwärtsbewegung der YAktie an einem schönen Ertrag erfreuen kann. Würde die Aktie bei 40 Euro verharren, hätte sie immer noch die Optionsprämie von 1,60 EUR verdient, weil der Vertragspartner in diesem Fall die Option nicht ausüben würde. Bezogen auf den Kapitaleinsatz von 40 Euro sind das 4 Prozent in einem Quartal, auf ein Jahr hochgerechnet also 16 Prozent Rendite. Auch bei einem über 42 Euro liegenden Kurs sähe die Lage für sie ganz gut aus. Zwar müsste sie in diesem Fall die Aktie zum Dumpingpreis von 42 Euro abgeben, könnte sich jedoch über einen Kursgewinn von 42,00 – 38,40 = 3,60 Euro erfreuen. Geld verlieren würde sie, falls die Y-Aktie unter 38,40 Euro sinken würde. Dann hätte sie eine Minusentwicklung bei ihrem Aktienbestand.
    Frieda und Friedhelm mögen ausgebuffte Börsenprofis sein; so clever wie Banken sind sie jedoch nicht. Denen gelänge es im Unterschied zu unseren Hobbyspekulanten nämlich, ihr persönliches Risiko gänzlich zu eliminieren, indem sie jeweils ein entsprechendes Zertifikat an den Markt brächten.
    Würden Frieda und Friedhelm ihre tollen Ideen nicht mit eigenem Geld, sondern den finanziellen Mitteln von Freunden umsetzen, hätten sie den Zertifikategedanken nahezu perfekt umgesetzt. Würden die beiden darüber hinaus ihren Freunden gegenüber einen »liquiden Markt« versprechen, also ihnen die Möglichkeit verschaffen, sich von ihrer Geldanlage jederzeit – natürlich gegen Berechnung einer Provision – zu trennen, wären sie im Endeffekt genau so clever wie Investmentbanken. Mit Eigenwerbung und einer gewissen Erfolgsquote müssten sie es schaffen, andere Personen aufzutreiben, die
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