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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder
Autoren: Peter Berling
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die dunklen
Wälder seiner Jugend entführte. Beim Licht des Tages
hatte Rik schon lange seinen Sinn gen Mekka ausgerichtet,
irgendwo jenseits der Wüste. Herkunft, Vergangenheit,
alles lag weit hinter ihm, zerfetzte Nebelschwaden in
seinem Rücken. Sein harter Schädel war früh ergraut, das
kurzgeschnittene Haar hatte beginnend an den Schläfen,
das einstmals helle Blond vergessen – dabei war er noch
nicht einmal Dreißig.
    Sein Begleiter trat zwei Schritte zur Seite, um den
Freund die bedauerliche Kluft spüren zu lassen, ihn in
Zugzwang zu bringen. Rik mußte nicht hinschauen, um
den stillen Vorwurf im bronzefarbenen Gesicht des fast
zehn Jahre älteren Emirs vor Augen zu haben. Dessen
Blick schien sich in den Felsen des Kaps zu verlieren, die
sich in der rasch fallenden Nacht auflösten.
    Bald würden die weißgetünchten Steine auf dem
Gräberfeld im Licht der Mondsichel aufscheinen wie
gestürzte Sterne, zu Silberbarren erfrorene
Glühwürmchen, dachte Rik. Sie wußten beide, wer dort
unter einem der Steinhügel lag, zu Füßen der Mauerkrone,
auf der sie standen. Er trat zu dem trotzig Trauernden und
legte ihm seinen Arm um die Schulter.
    »Erwartet nicht von mir, daß ich es Karim erkläre, das
würde meine Position als Vorbild gewaltig ins Wanken
bringen – und ihn gewiß erschüttern.«
    Rik holte Atem, bevor er heiser weitersprach: »Als
›Murabbi al-Amir‹, der verantwortliche Erzieher des
Knaben, muß ich –.«
    Hier unterbrach ihn der Emir sanft, aber bestimmt: »Ich
will selber derjenige sein, der es ihm behutsam beibringt,
aber von dir, Rik, erwarte ich, daß du mich endlich mit der
Wahrheit versorgst. Als mein Freund –.«, setzte er noch
hinzu und ließ das Wort in der aufkommenden Brise
stehen.
    Unterhalb des Hangs, der leicht gewellt zum schwarzen
Mauerband abfiel, blinkte der Spiegel des scharfkantig in
den Felsen geschnittenen Hafenbeckens auf. Die
Mondsichel hatte es erreicht, der Wind frischte stärker auf
und kräuselte die Wasserfläche. Der Hafen lag geschützt
hinter den Mauern von Mahdia, die schmale Durchfahrt
mit zwei Türmen bewehrt, einst sogar von einem Mauerbogen überspannt. Doch der war eingestürzt, eine schwere
Eisenkette ersetzte das Gittertor. Das Felsenkap, das sie
gern ›Horn von Iffriqia‹ nannten, ragte wie ein Dolch in
das blauschwarze Meer. Wellenkämme bildeten sich, ein
leises Rauschen setzte ein, die ersten Sturmböen sprangen
über die Zinnen, fegten pfeifend durch die Schießscharten.
    Der Emir schob Rik jetzt entschieden in Richtung des
Treppenabgangs im Turm, doch dem lag mehr daran, seine
Rolle klarzustellen, ebenso freundlich wie entschieden.
    »Euch zuliebe, Kazar Al-Mansur, will ich es auf mich
nehmen, alles noch einmal zu erleben, was vor neun
Jahren geschah.«
    Er genoß seinen gestöhnten Seufzer. »Doch macht Euch
keine Illusionen, von dem, was Ihr zu wissen begehrt,
kann ich Euch nur wenig bieten – karge Kost, gerade mit
einigen Mutmaßungen garniert, Wolkenfetzen von
Knabenträumen, kindliche Hoffnungen hinter den
Schleiern des fast Vergessenen –.«
    »Bevor deine poetische Ader dir weitere Streiche spielt
oder du plötzlich einsetzende Altersvergeßlichkeit
vorschiebst, lieber Freund, –.«
    Der Emir war auf den Stufen stehengeblieben und hatte
Rik mit beiden Händen an den Armen gepackt. Aus
seinem dunklen Gesicht leuchteten im Widerschein der
Fackel die erstaunlich hellen Augen auf –, »will ich dich
darum bitten, alles vor mir auszubreiten, wie einen Schatz,
den du mit dem Freunde teilst.«
    Rik flüchtete sich in Sarkasmus: »Dann zieht diesmal
einen Schreiber hinzu.«
Er hatte sich immer gegen Gefühlswallungen gewehrt.
»Denn es ist ja nicht das erste Mal, daß Ihr mich befragt
und ich Euch Rede und Antwort stehe –.«
»Diesmal will ich nicht fragen, sondern du sollst in den
Brunnen der Vergangenheit hinabsteigen, unerschrocken
und aus freien Stücken!«
»Das hab ich mir immer gewünscht!« spottete Rik.
»Einen dichtenden Sklaventreiber! Ein als Troubadour
verkleideter Folterknecht!«
Der Emir nahm es grinsend hin. »Auf seinem Landsitz
bei El-Djem beschäftigt Abdal, der Hafside einen
christlichen Mönch als Gärtner. Der sollte schreiben
können!«
»Zu hoffen ist, daß es jemand lesen kann«, scherzte Rik,
»Klosterbrüder sind meist nur unbedarfte Kopisten, aber
selten begabte Chronisten, das heißt rascher Aufnahme
ebenso fähig wie Meister der hurtigen
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