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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder
Autoren: Peter Berling
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schon gefällt war. Wenig Raum und
wenig Zeit blieb dem Auskosten dieser Liebe. Der
Todesengel würgte, ertränkte den geliebten Leib in seinem
Blut, kaum, daß ihm der Sohn entstiegen. Doch dann, als
sie schon mild und gefaßt ihrem unausweichlichen
Verbleichen entgegendämmerte, war Rik zu ihr getreten,
und sie hatte ihre Augen noch einmal aufgeschlagen und
ihm ein Lächeln geschenkt, das ihm, Kazar, nie vergönnt
gewesen – und damit war sie verschieden.
Wie oft war er des Nachts schweißgebadet aufgefahren,
nur von der bohrenden, sich im endlosen, dumpfen
Trommelrhythmus wiederholenden Frage besessen, was es
war, das ihr dieses Lächeln auf der Schwelle zur
Todespforte abgewinnen konnte. Wäre sie eine gläubige
Muslima gewesen, hätte er sich mit ihrem Eintritt ins
Paradies trösten können. Aber die verbliebene Frist auf
Erden hatte es nicht mehr gestattet, Melusine in die
Weisheiten des Korans einzuweisen. Die Worte des
Propheten waren ihr fremd geblieben. Zu spät war es für
Vorwürfe, sinnlos war ihm alles damals erschienen. Rik
konnte er nicht befragen, wahrscheinlich wußte der
Deutsche es selber nicht – wenn ihm die Besonderheit des
Augenblicks überhaupt bewußt war. Das Geheimnis
mußte in der Geschichte des kurzen, langen Weges liegen,
den alle Beteiligten gegangen waren, gemeinsam, getrennt
und doch vereint in der Suche – wonach? Der Emir erhob
sich noch mitten in der Nacht, warf sich zu Boden und
betete um Frieden für seine Seele.
Rik erwachte mit dem ersten Sonnenstrahl, noch bevor
ihm am Morgen Karim gebracht wurde. Der Knabe
verbrachte die Zeit der Dunkelheit im Palais seines Vaters.
Mit seiner feierlichen ›Sin ar-Rushd‹, der Volljährigkeit,
würde sich das ändern. Karim konnte es kaum erwarten.
Trotz des sandelholzfarbenen Teint seines Vaters,
gemahnte der hübsche Junge in vielem an die Mutter.
Vielleicht lag in dem Reiz der Haut ein Teil des Zaubers,
dem Melusine alsbald erlegen war. Karim mußte ein Kind
der Liebe sein, daran wollte Rik auch nicht mehr rütteln.
»Mein Herr Vater geht eh zu Bett, wenn ich schon
eingeschlafen bin«, beklagte sich Karim, »er nimmt sich
nicht mehr die Zeit, mir die Gute-Nacht-Geschichte zu
erzählen.«
Der Prinz unterließ es, mit dem Fuß aufzustampfen.
»Also ohne ›Qissid tisbah alakheir‹ kann ich auch gleich
zu dir umziehen! Oder nenn mir einen Grund, der dagegen
spricht?«
Rik war als Erzieher gefordert. »Weil der große ElMahdi den Brauch so eingeführt hat!« entfuhr es ihm
dennoch schroff, denn die Beschwerde kam nicht das erste
Mal, »außerdem ist dein Vater glücklich, dich bei sich zu
wissen. Oft steht er dann des Nachts vor deinem Lager
und wacht über deinen Schlaf –.«
»Weil ich keine Mutter habe!« kam prompt das Thema
hoch, das auch Rik gern mied. »Sie hat er nicht geschützt,
sondern sie verbluten lassen –.«
Diese Anklage war neu, er mußte ihr sofort
entgegentreten.
»Karim!« sagte er streng. »Wer hat dir diesen Unsinn
beigebracht –, leichtfertig oder bösartig?«
»Der Majordomus!« entgegnete der Knabe trotzig. »Und
der Baouab hat recht, denn so ist es auch gewesen!«
Rik nahm sich Zeit. Er mußte den Emir aus der
Schußlinie bringen und durfte den sensiblen Knaben nicht
über Gebühr in Verwirrung stürzen, denn sonst hätte sich
Karim am Ende gar selbst die Schuld am Tode seiner
Mutter gegeben. Er konnte also nicht einfach sagen, daß es
auch – und wahrscheinlich in erster Linie, um sein, des
Sohnes Leben gegangen war.
»Dein Herr Vater hatte die besten Ärzte hinzugezogen«,
versuchte er es behutsam und wider besseres Wissen, denn
sie waren erst gerufen worden, als es schon zu spät war.
»Doch nicht immer läßt sich die Natur überlisten, wie du
weißt«, appellierte er an den Ausbildungsstand seines
Zöglings. »Gerade dem menschlichen Körper sind im
Laufe der Geschichte viele Instinkte abhanden gekommen.
Denk an deine Zähne –.«
Karim mochte das nicht gelten lassen. »Es steht Allah
frei, mir Zahnschmerzen zu schicken, sie auch ausfallen zu
lassen, aber er kann nicht so grausam sein –.«
»Doch!« unterbrach Rik ihn hart. »Er kann! Er kann,
wenn er will! Und seinem Ratschluß haben wir uns zu
fügen.«
»Also ist Allah ein gemeiner Assassine –.«
»Auch das.«
Rik wollte es schnell hinter sich bringen. »Für das
›gemein‹ solltest du dich entschuldigen, Karim – ebenso
für den Vergleich mit den Fanatikern des Alten vom
Berge, die
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